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EigenArt 2015 -  Ein Gesamtkunstwerk

 

                            im Kunstraum St. Sebastianus


Christa Tamara Kaul   |    30.08.2015

 

 

Eine Kirche, besonders deren Innenraum, ist in aller Regel ein Gesamtkunstwerk. Allerdings eines, das auf einem stark durchstrukturierten Konzept beruht. Wenn freie Kunst – gleich welcher Art – zusätzlich darin gezeigt werden soll, muss diese das Potenzial haben, sich nicht nur selbst behaupten zu können, sondern vor allem in einer Art Dialog mit diesem Raum das vorgegebene Gesamtkunstwerk auf einer anderen Ebene zeitweilig zu erweitern ohne es zu zerstören.

 

 

Dass und wie dieser Anspruch erfüllt werden kann, zeigte erneut die im August dieses Jahres in Königsdorfs alter Pfarrkirche St.Sebastianus im Rahmen der KunstTage Rhein-Erft zum zweiten Mal präsentierte Kunstausstellung EigenArt. Der Eindruck, dass hier ein temporär neues Raumkonzept gelungen war, vermittelte sich sofort beim Betreten der Kirche. Die großformatige Installation „Abstrakt gelb“ von Georg Gartz empfing die Besucher direkt am Kircheneingang mit sattgelben Stoffbahnen und lenkte gleichzeitig den Blick weiter zum weißen „Blütenregen“, den Angelika Wittek unmittelbar vor dem Altar herabrieseln ließ. Dass Gartz und Wittek mit ihren Werken in den Farben Gelb (Gartz) und Weiß (Wittek) dabei zugleich die Kirchen- und Vatikanfarben Gelb-Weiß zitierten, ergab sich ohne diesbezügliche Absicht und sorgte für mancherlei Spekulationen über das Prinzip Zufall.
 

 

Georg Gartz – Abstrakt Gelb

 


Mit seiner Installation "Abstrakt Gelb", leuchtend goldgelben Stoffbahnen, locker zwischen den zwei dem Eingang jeweils nächsten Säulen des Mittelschiffes aufgehängt, sorgte der Kölner Künstler Georg Gartz buchstäblich für eine „eigenartige“ Raumsituation. Ausgangpunkt aller seiner Arbeiten ist die Farbe. Und das längst nicht mehr nur bei seinen Gemälden. Bei seinen raumplastischen Werken entwächst die Farbe der Zweidimensionalität der Fläche und strebt in die dritte Dimension. Dabei wurde in der St.Sebastianus-Kirche deutlich, dass und wie die abstrakte Farberfahrung innerhalb des sakralen Bezugsystems vielfältige Assoziationen hervorrufen kann. Etwa die Rolle, die das Gelb in der Heraldik oder auch in der
mittelalterlichen christlichen Ikonologie spielte, wo es neben dem Gold für das Heilige, das Ewige stand. Dazu stellten sich altbiblische Bezüge ein, etwa die zu den Vorhängen, die im altjüdischen Tempel die Bundeslade mit den Gesetzestafeln des Mose, das Allerheiligste also, vor den Blicken Unbefugter schützen sollte. Noch heute wird mit Bezug darauf auch das Allerheiligste im Tabernakel katholischer Kirchen symbolisch mit kleinen Vorhängen vor „unbefugten Blicken“ geschützt. Es herrschte der Eindruck des Verhüllenden und Beschützenden vor, wie bei einem provisorischen Zelt. In jedem Fall bot die Installation, mit der Gartz auf die farbmächtige Neugotik der Kirche reagierte, eine bewusste räumliche Intervention, die zum einen das Kircheninnere unter neuen Aspekten wahrnehmen ließ, und zum anderen die Aufmerksamkeit auf das luzide Werk von Angelika Wittek direkt vor dem Altar weiterleitete.
 


Angelika Wittek – Blütenregen

 


Dort, vor dem Hauptaltar, zog der „Blütenregen“, eine gleichermaßen poetisch grazile wie spekulationsträchtige Installation, die Blicke nahezu magnetisch an. Die in Köln lebende Künstlerin Angelika Wittek, die ursprünglich aus dem Bereich der Bildhauerei kommt, setzt schon seit Längerem den Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit auf Objekte und Installationen aus textilen Materialien. Scheinbar aus dem Nichts ließ sie in St.Sebastianus aus großer Höhe Hunderte sich bei jedem Luftzug sanft wiegende Blütenblätter aus weißem Vliesstoff zum Boden schweben – ohne dass die ihn jedoch jemals erreichten. Zusammen mit dem dahinter gold hervorleuchtenden Altar ergab sich ein Anblick von „eigenartiger“ Intensität, aus dem sich vielfache Anspielungen herauslesen ließen: Manna, das vom Himmel fällt, oder auch (Feuer-)Zungen, die an Pfingsten auf die Jünger herab kamen und sie mit dem heiligen Geist erfüllten. Auch prosaischere Assoziationen, wie etwa das Niederrieseln von Kirschblüten im Frühling oder das der Robinienblüten im Sommer, die dann wie Schnee den Boden bedecken, entbehrten nicht poetischer Bezüge. Etwa den zu einem Gedicht der deutsch-dänischen Schriftstellerin Friederike Sophie Christiane Brun: „Ich denke dein, wenn sich im Blütenregen der Frühling malt." Dass viele Besucher sich von dieser Installation wirklich verzaubern ließen, war mehrfach auch dem Gästebuch zu entnehmen. So lautete einer der Einträge: „Von mir aus könnte er (der Blütenregen) immer so hängen bleiben.“

 

 

Renate Fischer – Stones und Gespinste

 


Auch die Schöpfungen von Renate Fischer, die ihre Arbeiten im rechten Querschiff zeigte, entbehrten nicht eines hohen emotionalen Phantasiepotenzials. Und das, obwohl die Kölner Künstlerin in ihren Werken auf einige der meistgebrauchten technischen, also sehr nüchternen Schlagwörter unserer Zeit einging. Netze, Netzwerke, Vernetzungen waren und sind ihr vorrangiges Thema. Dabei bezieht sie sich vor allem auf das Zusammenspiel der Grundelemente unseres Lebens - das der Körperzellen. Aber auch die sehr ambivalente Bedeutung von Netzen, nämlich die des Einfangens, Auffangens und Verfangens spielen
immer wieder eine Rolle.

 

Die Werke entstehen vornehmlich aus Draht und mehr oder minder pigmentierter Papierfasermasse. Fischer taucht die von ihr zunächst geformten Drahtgebilde in die Papiermasse ein, wobei Teile der Masse sich dabei an einzelnen Stellen anlagern und dann an der Luft getrocknet werden. Dieser Vorgang wird mehrfach wiederholt, so dass sich in den Zwischenräumen der Drahtkörper von Mal zu Mal mehr eigentümliche Papiermembranen bilden. Die so entstehenden Gespinste und plastischen Objekte überraschen mit reizvollen Musterbildungen und Oberflächeneffekten, deren Faszination im Spiel von Licht und Schatten, von Farben und Formen, von Innen und Außen liegt und je nach Tageszeit und Lichtsituation neue Variationen generiert. Das galt auch für die beiden andersartigen Arbeiten, die seitlich des Hauptschiffes zwischen den Säulen zu sehen waren – das langstielige Papierlaub des "Blätterwaldes" und die auf dünnen Stäben wie im Wasser schwankenden, archaischen Bootsformen mit dem Titel "Ankunft".
 

 

Anja Schreiber - Hände

 

 

Einen gänzlich anderen Weg künstlerischen Ausdrucks geht Anja Schreiber. Die in Pulheim lebende Künstlerin arbeitet vorrangig mit Collagen, Videos und Installationen. Dabei setzt sie diese Techniken oft mit der Absicht surrealistische Anmutung ein. Oft lässt sie fremde Elemente zusammenprallen, damit sich neue Zusammenhänge ergeben mögen. Dabei strebt Schreiber mit dem bildgebenden Werkzeug Video nicht die Produktion von Bildern an, die irgendeine „Botschaft“ transportieren. Vielmehr möchte sie „die größtmögliche Offenheit der Bildlesung“ erreichen. Ob es dabei vielleicht nicht doch um gezielte Manipulation von Bildinhalten gehen könne, lässt sie offen. Wie eine solche Aufforderung zur Bildlesung aussehen kann, demonstrierte sie mit ihrer Licht-Ton-Installation im nördlichen Seitenschiff. Dort hatte sie aus fünf Bildschirmen, Videoplayern und mehreren dazu in Bezug gesetzten Objekten einen ganz eigenen Raum mit heterogenen Bildwelten geschaffen, der sich dem Thema „Hände“ widmete. Dieses beschäftigt die Künstlerin nicht erst seit dem Buch "Die Hand - Geniestreich der Evolution" und der darin vertretenen These, dass die Beschaffenheit der Hand erst das Denken und die künstlerischen Konstrukte des Menschen ermöglicht habe. Welche vielfältigen emotionalen Ausdrucksmöglichkeiten Hände besitzen, etwa die rituellen Haltungen beim Beten, Flehen und Segnen oder auch bei vielen Tänzen, demonstrierten ihre zeitversetzt laufenden Videosequenzen. Doch – dem Motto der „Bildlesung“ getreu – klare Interpretationen wurden verweigert, möglichen Deutungen und Narrativen dagegen freier Lauf gelassen.



Im Zusammenspiel der vier sehr unterschiedlichen Kunstkonzepte miteinander und mit dem Kirchenraum hat auch diese Ausstellung, die EigenArt 2015, einmal mehr etwas Wesentliches demonstriert: Zum einen ist die St.Sebastianus-Kirche visuell so stimulierend, dass es zusätzlicher Kunstwerke „eigentlich“ nicht bedarf. Das Raumerlebnis allein ist selbstgenügend. Zum anderen offenbarte sich aber auch und erneut: Im Dialog mit autonomer Kunst, die dem Raum standhält, können sich wunderbare Momente der Kontemplation und neue Denkanstöße entfalten, lassen sich ungewohnte Aspekte von Altbekanntem entdecken und vielleicht sogar ungeahnte Möglichkeiten erkennen. Dies wird auch im nächsten Jahr das Ziel sein.


Fotos:
Nr.2: G.Gartz, alle anderen: C.T.Kaul