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Glanz und Grösse des Mittelalters

 

Kölner Meisterwerke aus den Sammlungen der Welt

 

im Museum Schnüttgen

 

 

Christa Tamara Kaul     -    04.11.2011

 

 

Es gehört zu den eindrucksvollsten Kunstwerken der Königsdorfer Hildeboldkirche:  das Lebensbaumensemble. In seiner heutigen Form entstand es in den 1970er Jahren im Zusammenspiel einer mittelalterlichen Kreuzigungsgruppe mit einer zeitgenössischen Kreuzesinterpretation - das Kreuz gewandelt zu einen Baum mit grün-goldenen Blättern, zum Lebensbaum für die Menschen. Jetzt ist die aus dem 15. Jahrhundert stammende Christusskulptur dieses Ensembles im Kölner Museum Schnütgen zu sehen, als Teil der bis zum 26.2.2012 dauernden Ausstellung „Glanz und Größe des Mittelalters – Kölner Meisterwerke aus den großen Sammlungen der Welt“. Eine wahrhaft glanzvolle Ausstellung, die einmalige Exponate zusammengeführt hat, wie sie in dieser Formation wohl kaum jemals wieder zu sehen sein werden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Lebensbaumensemble mit der über 500 Jahre alten Christusfigur in der Hildeboldkirche in Königsdorf

Foto: J.Wettig

 

Die Geschichte der Königsdorfer Kreuzigungsgruppe ist nicht nur äußerst bewegt, sondern lag lange Zeit auch weitgehend im Dunklen. Nicht zuletzt durch die Vorarbeiten zur Ausstellung des Schnütgen Museums ist nun etwas mehr Licht in das Geschehen gekommen. Geschaffen wurden die Lindenholz-Skulpturen wahrscheinlich Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, möglicherweise aber auch erst zu Anfang des 16. Jahrhunderts, und zwar von einem Meister Tilman. Allerdings nicht, wie lange Zeit angenommen, von Tilman van der Burch, sondern, wie neue Forschungsergebnisse belegen, von Meister Tilman Heysacker, gen. Krayndunck. Er ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Schöpfer dieser sehr expressiven, leicht überlebensgroßen Skulpturen. In Auftrag gegeben wurden sie von der ehemaligen Benediktinnerinen-Abtei in Königsdorf, die an der alten Aachener Straße lag und an der Pilger, Kaufleute und andere Reisende, die von Köln nach Aachen und weiter nach Maastricht wollten, unweigerlich vorbei kamen. Auch wenn die Gruppe höchst wahrscheinlich zunächst für das Kircheninnere bestimmt war, so fand sie doch bald ihren Platz in einer in die Mauer dieses Klosters eingelassene Kapellennische. So hatten alle  Vorbeikommenden die Gelegenheit, um himmlischen Beistand und Schutz vor Unheil auf der Reise zu bitten. Aber auch Pestkranke und anderen Unglückliche sollen dort um Heilung gebetet haben, denn den Figuren wurden wundersame Kräfte nachgesagt.

 

Die Königsdorfer Christusfigur zusammen mit den Original-Assistenzfiguren von Maria und Johannes d. Evangelisten in der Ausstellung "Glanz und Größe ..."

Foto: Museum Schnütgen, Köln

 

 

 

In der Nische der alten Klostermauer stehen heute Kopien davon.  Dass nun alle Original-Skulpturen dieser Kreuzigungsgruppe nach Jahrhunderten erstmals und wohl für immer letztmals zusammen gefunden haben, ist dieser Ausstellung zu verdanken.

 

Wie lange die Gruppe in ihrer ursprünglichen Formation an der südlichen Klostermauer stand, lässt sich nicht mehr genau nachverfolgen. Fest steht aber, dass die Originalskulpturen der Maria und des Evangelisten Johannes irgendwann gegen andere ausgetauscht wurden und erst Anfang der 1990er Jahre von einem Kölner Kunststudenten im Budapester „Museum of Fine Art“ wiederentdeckt wurden. Da waren die ursprüngliche Christusfigur sowie die im 19. Jahrhundert ersatzweise hinzu gefügten Assistenzfiguren bereits Teil des Lebensbaumensembles der Hildeboldkirche geworden.

 

Anhand der im Ausstellungskatalog genannten Literatur lässt sich ganz gut erkennen, dass die Geschichte des Königsdorfer Kruzifixes bereits länger "im Hinterkopf" der Wissenschaftler präsent war und die Kunsthistoriker bewegte: Es wurde seit 1975 in der Literatur und an anderen Stellen immer wieder einmal besprochen, wie Niklas Gliesmann, einer der Ausstellungskustoden sagte. Für die Zeit der Ausstellung stellte das Museum Schnütgen der Hildeboldkirche ersatzweise ein Kruzifix vom Ende des 15. / Anfang 16. Jahrhunderts zur Verfügung, das bis vor kurzem noch seinen Platz als Leihgabe im Kloster St. Michael in Siegburg hatte.

 

Der mittelalterliche Glanz Kölns strahlte in die ganze Welt

 

So wie der Königsdorfer Skulpturengruppe ging es vielen der im Mittelalter in Köln geschaffenen Kunstwerke - sie wurden in alle Welt verstreut. Die Meisterwerke wieder zusammenzuführen und damit anschaulich zu machen, dass Köln in seiner Blütezeit von 1000 bis 1550 zu den führenden Kunstmetropolen Europas zählte, ist das  -  bestens gelungene -  Anliegen der aktuellen Ausstellung. Mit rund 40.000 Einwohnern war es damals größer als Paris oder Venedig  -  was heute vielfach nicht mehr bewusst ist. Es war ein einflussreiches und weit vernetztes Pilger- und Handelszentrum und stand im regen Austausch mit Paris, Prag, den Niederlanden und Italien. Und damit zog es zu den einheimischen Künstlern auch auswärtige Meister an. Sie alle zusammen entwickelten aufgrund regionaler stilbildender Eigenheiten mit der Zeit eine typisch kölnische Kunstsprache, die sich heute noch erkennen lässt.

 

Links: Thronende Madonna mit Kind und Heiligen
Meister der Hl. Veronika um 1410
Philadelphia Museum of Art, John G. Johnson Collection, 1917

 

Die von Dagmar Täube verantwortete Prachtschau bietet einen Überblick über das künstlerische Schaffen in Köln von der Spätromanik über die Gotik bis zum Beginn der Renaissance, also über rund fünf Jahrhunderte. Es werden kostbare Elfenbeinschnitzereien und Goldschmiedearbeiten, feinste Buch- und Tafelmalereien, edle Textilien, prächtige Glasmalereien und meisterhafte Holzschnitzereien gezeigt.

 

Kunst zur Ehre Gottes und der eigenen Heilsversicherung wegen

 

Das Mittelalter kannte keine l'art pour l'art, keine Kunst um ihrer selbst willen. Und deren Schöpfer verstanden sich auch nicht als Künstler im heutigen Sinn. Vielmehr ging es um die Verherrlichung Gottes und die Versicherung des eigenen Seelenheils sowie die Repräsentation des gesellschaftlichen Standes. Folglich entstanden überwiegend Werke sakralen Inhalts. Auftraggeber waren mehr oder minder Vermögende, also  Herrscher, Adlige, Geistliche und wohlhabende Bürger. Der Reichtum im Kölner Erzbistum erlaubte in der Romanik die Gründung vieler neuer Klöster, Kirchen und Stifte. Sie alle wurden prachtvoll ausgestattet. In der Gotik kam der atemberaubende Bau des Hohen Doms hinzu, der Jahrhunderte in Anspruch nahm und fast ausschließlich von Erzbischof und Domkapitel getragen wurde. Er gilt bis heute als  drittgrößte Kirche der Welt.

Gegen Ende der Gotik und mit dem Beginn der Renaissance wurden immer häufiger wohlhabende Bürger zu Auftraggebern. Stadtrat, Kaufmanns- und Tischgesellschaften und die Zünfte bestellten zunehmend Auftragswerke. Wobei der Wunsch nach Zeichen der eigenen Frömmigkeit sowie das  Repräsentationsbedürfnis gleichermaßen eine Rolle spielten. Bis heute ist im Stadtbild deutlich erkennbar, dass Kleriker und wohlhabende Bürger die Initiatoren und Stifter prachtvoller Bauten, Skulpturen, Tafel- und Buchmalereien waren. Eine höfische Prägung, wie sie traditionelle Residenzstädte aufweisen, fehlt im Stadtbild völlig. Was jedoch einer privilegienreichen Sonderstellung Kölns im Reich keinen Abbruch tat.

 

Links: Friesentormadonna, Köln, um 1360/70, Nussbaumholz, Museum Schnütgen, Köln, Foto: Christa Tamara Kaul

 

Im Gegenteil: Köln zählte neben Rom, Jerusalem und Byzanz, heute Istanbul, zu den vier Heiligen Städten der Christenheit. Den Ruf verdankte es den prächtig ausgestatteten Kirchen, Märtyrergräbern, Heiligenlegenden und Reliquien, nicht zuletzt den zwar kaum echten, aber berühmten Gebeinen der Heiligen Drei Könige. Nicht zu vergessen die heilige Ursula mit ihren wahrscheinlich 11 Jungfrauen, aus denen in der Legende aus durchaus kommerziell zu sehenden Gründen 11.000 wurden, sowie der heilige Gereon mit seinen Gefährten. Sie verhalfen Köln zum Ehrentitel des „Roms des Nordens". Das schwemmte Pilger- und Kaufmannsströme in die Stadt, die wiederum an Reliquien und kunstvollen Gefäßen für diese sowie an anderen wertvollem Handelsgütern interessiert waren. Ein lukratives Pflaster für die Kölner Goldschmiede und Bildschnitzer also.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

All das lässt sich anhand der herrlichen Ausstellungsexponate und der erklärenden Texte anschaulich nachvollziehen. Damit diese außergewöhnliche Schau Realität werden konnte, bedurfte es einer langen und akribischen Vorarbeit und Kontakten zu Sammlungen in der ganzen Welt. Die 225 Spitzenexponate sind teilweise Leihgaben nationaler und internationaler Museen, sie kommen u.a. aus Berlin, Darmstadt, Nürnberg, München, London, Paris, Budapest, Wien, Lissabon, New York, Philadelphia, Washington, Cleveland, Detroit, Chicago und Los Angeles und kehren nur für die kurze Zeit der Ausstellung an ihren Ursprungsort, die Domstadt, zurück . Ebenso wie die Königsdorf-Budapester Kruzifixgruppe werden auch die anderen Prachtstücke auf absehbare Zeit nicht mehr in dieser dichten Zusammenstellung zu sehen sein.

 

Zur Ausstellung ist im Hirmer Verlag ein reich und durchgängig farbig illustrierter Katalog erschienen, der neben der ausführlichen Beschreibung der 225 Exponate zwei einführende Beiträge sowie mehrere themenspezifische bzw. übergreifende Essays renommierter Experten bietet, so dass ein Überblick über den neuesten Stand der Forschung gewährleistet ist. Anders als die Ausstellung ist der Katalog jedoch ganz bewusst nach Kunstgattungen gegliedert, um das Auffinden der Exponate unabhängig von der Ausstellung zügig zu ermöglichen. Alles in Allem: Ein Augenschmaus und ein wertvolles Kompendium der mittelalterlichen Kunst und Bedeutung Kölns.

 

 

 

 

"Glanz und Größe des Mittelalters - Kölner Meisterwerke aus den großen Sammlungen der Welt" - Ausstellung vom 4. November 2011 bis 26. Februar 2012 im Museum Schnütgen, Cäcilienstraße 29-33, Köln

 

Katalog

Ausstellungsausgabe 39,00 Euro

Buchhandelsausgabe 49,00 Euro