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Judith Hermann

Nichts als Gespenster

Erzählungen

S. Fischer Verlag

320 Seiten, Gebunden
ISBN: 3-10-033180-X

www.s-fischer.de/

 

 

Wohin des Wegs? 

 

 

Expedition zu Menschen im Irgendwo 

 

 

Von Christa Tamara Kaul

 

 

Es gibt Bücher, über deren Sätze hastet man nahezu achtlos hinweg, um Verlauf und Ausgang eines Geschehens möglichst schnell zu erfahren. Andere dagegen langweilen, ja quälen bisweilen durch Inhalt und Ausdrucksweise so sehr, dass sie allenfalls unter dem Druck beruflichen Zwanges zu Ende gelesen werden. Manchmal aber gibt es auch Geschichten, die vor allem durch die Sprache in ihren Bann ziehen und so  faszinieren, dass ganz aufmerksam gelesen wird, um die Wortkompositionen bewusst aufzunehmen. Wortkompositionen, die selbst noch triviale Ereignisse, banale Situationen und triste Empfindungen eher unspektakulär und doch so treffgenau aufzuzeigen und transparent zu machen  verstehen, dass sogar das Lesen des Trivialen, Banalen und Tristen aufschlussreich ist.  Bisweilen stellt sich dabei der gedachte Kommentar "Ja, genau so ist es" ein. Die Erzählungen von Judith Hermanns Buch "Nichts als Gespenster" gehören zur letzten Kategorie. Hermanns Sprache und Erzählstil sind wohltuendes Ereignis, ganz besonders im Vergleich zeitgenössischer Literatur. Und wenn hier und da auch mal eine Formulierung fragwürdig gerät: Schwamm drüber, es hat wenig Bedeutung angesichts des verbalen Gesamtkunstwerkes.

 

Wenn dennoch am Ende des Buches keine ungetrübte Freude zurückbleibt, so liegt es also nicht an der Art, wie erzählt wird, wie Menschen und Ereignisse dargestellt werden. Sondern an den Menschen selbst, die die Geschichten bevölkern.  Je nach Mentalität hat entweder die kokettierend abgeklärte Melancholie der Ich-Erzählerin auf das Gemüt des Lesers, der Leserin übergegriffen oder aber es wurde im Gegenteil Abwehr geweckt,  zunehmend der Ärger geschürt über den allzu matten Handlungswillen und die eigenartige Unberührbarkeit von Hermanns  literarischem Personal. Die Erzählungen machen uns zu Zeugen eines merkwürdig leblosen Lebens. Im letzten Jahrhundert sprach man von Fin-de-Siècle-Dekadenz und vom morbiden Charme der Bourgeoisie. Zu Beginn dieses Jahrhunderts kann eher von larmoyanter Übersättigung, globaler Partytristesse oder orientierungsloser Selbstfindungsmanie die Rede sein. Erst mal eine Zigarette rauchen. Vielleicht findet sich ja dann doch noch ein/e neue/r Partner/in oder gar der Sinn des Lebens in irgendeinem Winkel irgendeiner Lifestyle-Wohnung dieser Welt.

 

Das ist jedoch weniger der Autorin anzulasten, gleichgültig, ob sie selbst diese Einstellung des "Und eigentlich ist es mir alles auch egal" teilt oder nicht. Was sie so gekonnt offenzulegen versteht, beim Lesen außerordentlich intensiv spüren lässt, ist ein bestimmtes Lebensgefühl. Das Lebensgefühl zwar nicht einer ganzen Generation, aber doch eines großen Teils der heute etwa Dreißigjährigen. Materiell abgesichert, überdrüssig-gelassen, melancholisch-indifferent, lustvoll-standortlos, weltläufig informiert und bei all dem eigenartig unberührt und ziellos. Judith Hermanns Verdienst ist es, in die Seelenwelten dieser "alten Kinder" (wie die Mutter anlässlich des dreißigsten Geburtstages der Ich-Erzählerin es in der hervorragenden Erzählung "Aqua Alta" nennt) eintauchen zu lassen, sie transparent zu machen. Und das ist nicht wenig.

 

Weitergehende Rezension auf Anfrage >>>

 

Textauszug: Ich bin mit Johannes in Paris gewesen und in Bern und Bremerhaven und Zürich. In Paris und in Bern war ich zu Gast bei einer seiner Ausstellungseröffnungen, ich hatte die Katalogtexte geschrieben und stand eine Stunde lang mit einem Glas Sekt an der Heizung, bevor ich zurück ins Hotel ging, am nächsten Tag wieder abreiste, nach Hause oder irgendwohin. Nach Bremerhaven, wo er in den ersten Jahren lebte, fuhr ich, um ihn zu sehen, um ihn wiederzusehen und endlich zu sagen, was ich sagen wollte, und natürlich sagte ich nichts und gestand nichts, und es passierte gar nichts. In Zürich war ich die, die er liebte oder zu lieben glaubte, und wir lagen in der Nacht in einem Hotelzimmer im Rotlichtviertel auf einer ausgezogenen Couch nebeneinander, und ich drehte mein Gesicht zur Wand und legte den Arm auf den Kopf, und er fing an zu weinen und sagte  >> Du bist grausam<<, was ich nicht war. In Karlovy Vary war ich ihm nichts, und er war mir auch nichts, also waren wir endlich Freunde, und nur heute will ich vielleicht wissen, ob wir das wirklich sein wollten.  ...............................

 

Ich dachte, über irgendetwas sollten wir sprechen, es ist noch nicht spät, wir können noch nicht schlafen gehen, wir müssen noch ein wenig so beieinander sitzen. Und eigentlich war es mir auch egal, ich war dankbar dafür, dass es mir egal war. Ich dachte daran, wie bang und zittrig ich hier sitzen würde, wenn ich ihn noch lieben, wenn ich mich ihm zeigen wollen würde, mich nach ihm sehnte, ich sehnte mich nicht nach ihm.      <<< zurück

 

Autorenportrait: Judith Hermann wurde 1970 in Berlin geboren. Nach einer journalistischen Ausbildung und einem Zeitungspraktikum in New York erhielt sie 1997 das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste. 1998 erschien ihr erstes Buch "Sommerhaus, später", dem eine außergewöhnliche Resonanz zuteil wurde. Im selben Jahr wurde ihr der Literaturförderpreis der Stadt Bremen zuerkannt, 1999 der Hugo-Ball-Förderpreis und 2001 der Kleist-Preis. Judith Hermann lebt und schreibt in Berlin.

Das Buch "Nichts als Gespenster" hat sie ihrem Sohn Franz gewidmet.

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Judith Hermann: Nichts als Gespenster

Erzählungen, S. Fischer Verlag, 320 Seiten, Gebunden
ISBN: 3-10-033180-X

www.s-fischer.de/

 

 

 

 

© Christa Tamara Kaul