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Helmut König

Lüge und Täuschung in den Zeiten von Putin, Trump & Co.

 

360 Seiten
transcript, 2020

 

ISBN

978-3-8376-5515-5

 

 

 

Wahrheit   –   welche Wahrheit?
 

 


Lüge und Täuschung in den Zeiten von Putin, Trump & Co.

 

 


Von Christa Tamara Kaul        –         Oktober 2020

 

 


Ein altes russischen Sprichwort sagt: Nenne einen Menschen zehn Mal Schwein, beim elften Mal wird er grunzen (Назови человека десять раз свиньёй, на одиннадцатый он захрюкает). Es dürfte genau diese Zielrichtung sein, die hinter den vielfältigen Lügen und Ränkespielen eines Donald Trump und eines Wladimir Putin steckt. Das Wissen um die Wirkmacht von Verleumdung ist uralt und weltweit verbreitet. Aber aktueller denn je – wie Helmut König in seinem Buch „Lüge und Täuschung in den Zeiten von Putin, Trump & Co." darlegt und anhand der beiden derzeit mächtigsten Männer der Welt ausführlich analysiert.

Als hätten Putin und Trump die Aussagen von Königs im September 2020 erschienenen Buches noch nachträglich bestätigen wollen, haben beide geradezu exemplarisch weiter geliefert: der eine den Fall des vergifteten Regimekritikers Alexej Nawalny und der andere – unfreiwillig – seine durch die New York Times (NYT) aufgedeckten Steuermanipulationen, dazu seine unsäglichen Wahlkampfauftritte und nicht zuletzt sein Covid-19-Theater. Beiden gemein ist – wie mit zig Beispielen belegt, Lügen, Tricks und Täuschungen als probate Mittel ihrer Politik einzusetzen. Wobei im Fall Putins auch noch Mord und Totschlag dazukommen. Dabei spiegelt das Profil der beiden Politiker (und nicht nur dieser) durchaus die Geschichte und Kultur der jeweiligen Länder wieder. Hier Trump, die amerikanische Grobform des Unternehmertums ohne Skrupel im Hinblick auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Vernichtung von Konkurrenten, dort Putin, der im Kampf gegen jegliche Konterrevolution versierte Geheimdienstexperte, ohne Skrupel im Hinblick auf tödliche Kollateralschäden.
 

Doch auch wenn sich beide Politiker(typen) ähnlicher Mittel bedienen, so weist ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit deutliche Unterschiede auf. „Aus dem Weißen Haus unter Trump“, so König, „dringt ein nicht enden wollender Strom von Schmähungen und Lügen an die Öffentlichkeit, die Mauern des Kreml dagegen sind so dicht wie Mauern von Jericho, und bislang haben keinerlei Trompeten es vermocht, für mehr Transparenz zu sorgen.“ Die Grundlage für die sprichwörtliche Kreml-Astrologie. Darüber hinaus lassen sich Lügen und Täuschungsmanöver überall in unterschiedlichen Funktionen anwenden. Als da wären zum einen die schlichte Irreführung, zum anderen aber auch die mit Kumpanen geteilte Lüge als Narrativ, das Gruppierungen mit mafiaähnlichen Strukturen verbindet. Beides setzt bewusst auf die Spaltung der Gesellschaft, und beides sieht König vor allem bei Trump bewusst eingesetzt.

Divide et impera


Wenn Demokratie auch und nicht zuletzt die gegenseitige Achtung und Wertschätzung gleichberechtigter Bürger/innen, also der Pluralität beinhaltet, so ist Trumps Verhalten von dem exakten Gegenteil geprägt. Das System des Spaltens und Herrschens hat er nicht erfunden, schon die Römer richteten ihre Politik danach aus. Aber Trump bedient sich nicht nur dieses Werkzeugs, er verkörpert es geradezu. „Weil er meint, im Besitz eines universalen Erfolgsrezepts zu sein, ist für ihn nur noch alles eine Frage der Umsetzung, für die man möglichst viel Macht braucht. … Folgerichtig setzt der Präsident alles daran, diese Akteure, die seine Allmacht begrenzen, auszuschalten. Im Grunde versteht Trump Politik nach innen als Einpersonenherrschaft, und analog dazu besteht im Blick auf die Außenbeziehungen seine Idealvorstellung darin, dass alles sich dem Prinzip von America first, das eigentlich America alone meint, unterordnet“, so König. Was – ebenfalls logischerweise – dazu führen muss, alles, was anderer Meinung ist, klein zu machen oder ganz auszuschalten. Es geht um die Stärkung der eigenen Position mittels Schwächung und Diffamierung der Konkurrenten und Opponenten. An Beispielen dafür mangelt es in dem Buch nicht, doch hat sich Trump auch nach dem Erscheinungsdatum des Buches eifrig bemüht, dieses Prinzip in die Tat umzusetzen.
 


So kanzelte er beispielsweise am 19. Oktober Amerikas führendem Corona-Experten Anthony Fauci (79) ab, zunächst per Twitter, später dann in einer Telefonschalte mit seinem Wahlkampfteam, indem er den renommierten Chef des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten als „Katastrophe“ und indirekt als Idioten bezeichnete, der dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden (77) in die Hände spiele. Und das eben, weil Fauci bezüglich der Pandemie anderer Meinung als Trump war und ist. Allerdings: Während König Trump noch als mit dieser Methode zu Geld gekommenen Immobilienhai einstuft, scheint sich nun auch noch der Verdacht zu erhärten, dass Trump zudem ein hoch verschuldeter Aufschneider sein könnte, dessen wahrscheinlich prekäre Finanzlage ihn möglicherweise politisch erpressbar macht.

"I love depreciation” (Ich liebe Abschreibungen), zitierte die New York Times (NYT) in ihrem die Finanzgebahren des Präsidenten durchleuchtenden Artikel vom 27. September eine Aussage Donald Trumps während einer Präsidentendebatte im Jahr 2016. „Vergessen Sie nicht, ich bin der König der Schulden", hatte er damals geprahlt. "Ich weiß mehr über Schulden als praktisch jeder andere. Ich liebe Schulden. Ich liebe es auch, Schulden zu verringern. Und ich kann das besser als jeder andere." Und so sorgten laut NYT eine Vielzahl von Abschreibungen und Verlusten dafür, dass Trump jahrelang, nämlich in 11 von 18 Jahren, nahezu steuerfrei blieb. Im Jahr seines Wahlsiegs und seinem ersten Amtsjahr zahlte er gerade mal jeweils 750 Dollar. Dass er dabei rund 70.000 Dollar in einem Jahr als Ausgaben für seinen Friseur abschrieb – o.k. geschenkt. Derzeit soll der amerikanische Präsident persönlich für Schulden seines Geschäftsimperiums im Umfang von 421 Millionen Dollar haften. Der Großteil der Kredite soll in den nächsten vier Jahren fällig werden, wobei jetzt an der Liquidität Trumps ernsthaft gezweifelt wird.

Dazu passen bestens auch die Recherchen der NYT vom 20.10.2020, die ans Licht brachten, dass der US-Präsident ein Bankkonto in China besitzt, eigene Geschäfte in der Volksrepublik vorangetrieben und dort teils mehr Steuern gezahlt haben soll als in den USA. Und das, obwohl er seit Jahren einen Handelskrieg mit China führt und andere Länder ebenso dazu anhält. Das alles führt zwangsläufig zu der von König genüsslich aufgeblätterten „Tiefenerzählung“ Trumps. Sie besteht im Wesentlichen aus zwei Kapiteln, dem Kapitel von Rebellion, Provokation, Hemmungslosigkeit und Unverschämtheit auf der einen Seite, und dem Kapitel von Erfolg, Geld, Reichtum und Allmacht auf der anderen Seite. „Der Einsatz von Lügen und Täuschungsmanövern bedient beide Facetten gleichermaßen, das Rebellische und das Erfolgreiche. … Je faustdicker die Lügen, desto faustdicker der Spaß.“ Wer am Schluss den dicksten Spaß haben wird, ist allerdings gegenwärtig noch offen.

 


 


Nichts ist wahr, alles ist möglich


Und Putin – wie hält er es mit der Wahrheit? Wahrheit? Welche Wahrheit? Er arbeitete von 1975 bis 1990 (unter anderem in der DDR) für den russischen Geheimdienst KGB (Комитет государственной безопасности, dt. Komitee für Staatssicherheit), und zwar – wie mehrfach belegt – mit wahrer Begeisterung. 1998 wurde er dann Direktor des Inlandgeheimdienstes FSB (Федеральная служба безопасности Российской Федерации -  Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation), also der KGB-Nachfolgeorganisation. Zu den Kernkompetenzen dieser Art von Geheimdienstlern gehört es, sich sowohl auf jede erdenkliche Art Informationen zu beschaffen, als auch und vor allem selbst Informationen zu streuen, vornehmlich falsche, indem getäuscht wird, Spuren verwischt, Verwirrung gestiftet und falsche Fährten gelegt werden. Und nicht zuletzt immer die Lizenz zum Töten gegeben ist. Eine solche Tätigkeit prägt jeden Menschen, der sie jahrelang mit Überzeugung ausübt. Und Putin beherrscht dieses Handwerk ganz offensichtlich bis heute exzellent. Derzeit aktuellster Beweis dafür ist der Fall des Regime- und Putinkritikers Alexej Nawalny.

Sicher stehen Freiheitsbestrebungen und zivilgesellschaftliche Gruppierungen in diesem Riesenreich mit seiner jahrhundertealten Tradition zaristischer, autokratischer und diktatorischer Herrscher vor besonderen Herausforderungen. Eine Zivilgesellschaft konnte sich bisher noch nie über einen längeren Zeitraum entwickeln und wirklich Fuß fassen. Das kurze „Aufblühen … unabhängiger zivilgesellschaftlicher Vereinigungen seit Gorbatschow blieb eine kurzzeitige Episode, die in den Augen Putins so schnell wie möglich … kontrolliert werden musste“, wie König vollkommen zu Recht feststellt. Während Initiativen, die sich im Bereich von Wohltätigkeit, sozialer Selbsthilfe, Umwelt, Bildung und Unterhaltung engagieren, von staatlicher Seite gern gesehen sind, hört das Wohlwollen schlagartig auf, sobald es um die politische Freiheit geht. Als sich Anfang der 2000er Jahre zunehmend regierungskritische Kundgebungen gegen die zweifelhaften Politspiele von Wladimir Putin und Dmitri Medwedew häuften, reagierte die Regierung unter anderem im Jahr 2007 mit einem Gesetz, gemäß dem sich Nichtregierungsorganisationen (NGO) als „ausländische Agenten“ registrieren lassen müssen, wenn sie auch nur die geringste Unterstützung aus dem Ausland erhalten – und seien es Schreibmaterialien. Nur einer von vielen Stolpersteinen für Oppositionelle.

Doch je mehr die russische Präsidial-Administration unter Putin ihr System der (von ihr so genannten) „gelenkten Demokratie“ etablierte, umso mehr keimten trotz allem Protestbewegungen. Zu den mittlerweile für die politische Elite gefährlichsten Gegnern zählt eben der Jurist Alexej Nawalny – Russlands gegenwärtig bekanntester und aktivster Regimegegner, der sich derzeit in Deutschland von dem mit äußerster Wahrscheinlichkeit von staatlich-russischer Seite verübten Giftmordanschlag erholt. Bereits 2008 titulierte er Putins Kreml-Partei „Einiges Russland“ (Единая Россия) als „Partei der Gauner und Diebe“ (партия жуликов и воров). Das saß – und setzte sich im Bewusstsein vor allem der städtischen Bevölkerung fest. Dementsprechend orientieren sich die oppositionellen Kräfte an der Maxime „Nicht lügen, nicht stehlen“. Und das aus gutem Grund, denn Korruption und Machtmissbrauch der jeweils Herrschenden, auch und besonders zum Zweck der eigenen Bereicherung, haben in Russland bis heute eine schon geradezu verinnerlichte Tradition. Wie von Nawalny und anderen Oppositionellen immer wieder nachgewiesen wurde.


Da stellt sich manchen Westeuropäern vielleicht die Frage, warum nicht deutlich mehr Menschen aufbegehren. Doch dabei werden die speziellen russischen Gegebenheiten übersehen. Auch wenn unter Putin eine deutlich repressive Staatsführung gepflegt wird, so gibt es dennoch etliche Freiräume und Schlupflöcher, die viele Bürger/innen ein durchaus selbstbestimmtes, oft auch finanziell auskömmliches Leben führen lassen. Einzige Voraussetzung: keine eigenen politischen Ansichten und Ziele. Und das ist nach der langen Zeit kommunistischer Diktatur immerhin schon ein Fortschritt. Zum anderen machen sich die meisten Bürger/innen keine Illusionen über die mehr oder minder korrupte politische Führung. Was den Autor Peter Pomerantsev in der punktgenauen Schlussfolgerung zusammenfasste „Nichts ist wahr und alles ist möglich“. In dem 2014 unter diesem Titel erschienenen Buch stellt er die Mehrheit der russischen Bevölkerung als verunsichert und gespalten dar, hypnotisiert durch die „vom Kreml gesteuerte Medien-Hydra“, die das Leben in Russland wie eine „von der Regierung inszenierte schillernde Reality-TV-Show“ darbiete. „Diese neue Form von Autoritarismus ist brillant“, sagt Pomerantsev. „Anstatt die Opposition zu unterdrücken, wie das in verschiedenen Erscheinungsformen des zwanzigsten Jahrhunderts der Fall war, dringt er direkt in die Ideologien und Bewegungen vor und kehrt sie von innen ins Absurde.“ Auflehnung, Proteste, Dekadenz und Verschwörungstheorien werden aggressiv inszeniert, Realität wird von hochrangigen PR-Managern stürmisch umdefiniert.

Da wäre es die Aufgabe unabhängiger Medien, die Tricks und Fiktionen der Politik kritisch zu hinterfragen und gegensätzlichen Meinungen Raum zu geben. Wenn es sie denn noch gäbe. Doch unabhängige Medien, die die staatliche Reality-Show stören könnten, wurden weitestgehend längst zum Schweigen gebracht, allen voran das Fernsehen, von dessen politischer Allmacht Putin offenbar so überzeugt zu sein scheint wie Trump. Folglich sind alle wichtigen Sender in der Hand des Kremls. Im November 2019 ging es dann mit einem neuen Gesetz auch noch dem freien Internet an den Kragen: Die in dem Gesetz enthaltenen Bestimmungen erlauben es ziemlich problemlos, unliebsame Seiten zu sperren und deren Betreiber, sofern sie im russischen Wirkungsbereich angesiedelt sind, zu sanktionieren. Etwa wenn sie durch „eklatante Respektlosigkeit“ gegenüber dem Staat, den Behörden, der Verfassung oder der Landesfahne auffallen. Ein regierungskritischer Blogpost wird von Putin als Cyberangriff gesehen.

Im Gegensatz zu früheren diktatorischen Regimen in Russland läuft die aktuelle Strategie also nicht auf die Indoktrination mit einer bestimmten Ideologie hinaus. Für den Machterhalt der derzeit Herrschenden reicht es aus, Misstrauen und Verwirrung zu stiften. Der „Durchschnittsbürger“ kann nur den von der Regierung geschalteten Informationen glauben oder auch nicht, überprüfen kann er sie kaum oder gar nicht – sofern er nicht einiger Fremdsprachen mächtig ist und entsprechende ausländische Internetdienste empfangen kann. Als Folge hat sich im Bewusstsein der Bevölkerung ein „Gefühl des Halb-Glaubens, Halb-Mißtrauens“ gebildet, das einen Zustand von Argwohn und Ohnmacht, bisweilen auch Angst zur Folge hat. Eben immer nach dem Motto „Nichts ist wahr, alles ist möglich“.

Dass da oppositionelle Kräfte, die in letzter Zeit für russische Verhältnisse erstaunlich erstarkten, von der „politischen Elite“ als wahrhaftige Gefahr angesehen werden, wundert nicht. Und eben auch nicht die den russischen Verhältnissen entsprechenden Gegenmaßnahmen – etwa die Erschießung von Boris Nemzow (2015), die Vergiftung von Sergej Skripal und dessen Tochter (2018), der versuchte Giftmord an Alexej Nawalny (2020).

Kreml-Astrologie und die Taschen voll Gold


Was nun verbindet Politiker wie Trump und Putin, was ist ihnen gemein? Die Antwort ist relativ einfach: allem voran der angerichtete Schaden. „Der Schaden, den beide in der Welt der Politik anrichten, ist immens“, so König. Denn während Trump mit seiner bisherigen Agenda die Axt an die Wurzeln eines einigermaßen intakten politischen Systems gelegt hat, vernichtete Putin die in der Zeit der Perestroika nach dem Untergang der Sowjetunion langsam entstandene unabhängige politische Öffentlichkeit. Doch Freiheit und Wahrheit hängen unmittelbar zusammen. Nur wo Meinungsfreiheit herrscht, können Informationen ungehindert ausgetauscht werden. Nur dort können die Gesellschaft und deren frei gewählte Vertreter offen diskutieren und entscheiden.

Auch wenn es derzeit in den USA noch nicht und in Russland nur bedingt so weit ist wie in dem von König zitierten Roman „Der Prozess“ von Franz Kafka, so hinterlässt doch Kafkas Aussage auch im Hinblick auf die Gegenwart ein flaues Gefühl: „Man muss nicht alles für wahr halten, man muss es nur für notwendig halten. … Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.“ Damit es nicht soweit kommt, sind aufklärende Analysen, wie sie in diesem Buch geboten werden, äußerst hilfreich.


Helmut König
Lüge und Täuschung in den Zeiten von Putin, Trump & Co.

transcript, 2020, 360 Seiten, 29,50 Euro
ISBN 978-3-8376-5515-5

 

 

 

 

© Christa Tamara Kaul