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Es hat mit Liebe zu tun –

oder: Vom Schicksal der Füllmasse

 

Monika Marons „Ach Glück“

 

 

Von Christa Tamara Kaul

 

Als wenn das so einfach wäre mit dem Glück! Was ist Glück? Was ein gelungenes Leben? Und – gibt es das überhaupt? Das sind die Fragen, mit denen sich Johanna Märtin, Hauptfigur in Monika Marons Roman „Ach Glück“, herumschlägt und auf deren Beantwortung sie auf dem schmalen Grat zwischen Resignation und Aufbegehren drängt. Ihre Suche danach ist vor allem durch einen zotteligen schwarzen Hund, den sie eines Tages angebunden an einem Abfalleimer an der Autobahn fand, mitnahm und nach seiner Fundstelle auf den Namen Bredow taufte, in Bewegung gekommen.


Dieser Hund! Wer weiß, was aus Johanna ohne dieses vor Lebenslust überschäumende Tier, das sie nach seiner Rettung abgöttisch liebt, geworden wäre. Immerhin war sie bereits kurz davor, aufgund ihrer in Alltagsroutine leergelaufenen Ehe und durch berufliche Enttäuschung in Fatalismus oder gar Bitternis zu erstarren. So aber glaubte sie, dass dieser Hund ihr als Botschaft geschickt wurde, und sitzt nun, da ein Funken seiner kreatürlichen Lebensfreude auf sie übersprang, im Flugzeug nach Mexiko. Sie fliegt einer ihr unbekannten Welt und fremden Frau, einer alten, aber immer noch quicklebendigen russischen Aristokratin, die auf den Spuren der legendären surrealistischen Künstlerin Leonora Carrington wandelt, entgegen. Und rekapituliert ihr bisheriges Leben. Bereit, Verkrustungen aufzubrechen, Neues, also Leben wieder zuzulassen.

Nicht, dass es ihr materiell schlecht ginge oder sie existenzielle Sorgen hätte. Sie ist Schriftstellerin und war zu DDR-Zeiten spezialisiert auf Biographien, deren Sinn und Genuss für sie vor allem darin lag, zwischen den Zeilen gesellschaftskritische und politische Botschaften zu übermitteln. Doch diese geschichtsbezogene Arbeit hat nach der Wiedervereinigung ihren Sinn verloren. So schreibt sie inzwischen mehr oder minder lustlos Rezensionen. Noch lust- und sinnloser erlebt sie die fast dreißigjährige Ehe mit ihrem Mann Achim, einem speziell als Lessing-Forscher anerkannten Germanisten. Spätestens seit Tochter Laura aus dem Haus ist und Achim eine Affäre mit einer wesentlich jüngeren Frau hatte, erkennt Johanna, dass ihre Beziehung längst ausgelaugt darnieder liegt. Sie überkommt das Erschrecken über das Älterwerden und über den unabwendbaren Verlust äußerer Attraktivität. Was sie als bedrückend, wenn nicht gar tödlich empfindet – und Achim, ihr Mann, offenbar gar nicht bemerkt. Denn er sieht sie kaum noch, und sie ihn hauptsächlich von hinten, am Schreibtisch sitzend, „mit dem Rücken zur Welt“ – eine neue Art „Kentaur, halb Schreibtisch, halb Mann“. Was für ein Schicksal – oder - aus ihrer Sicht – eben genau das, nämlich ein eigenes Schicksal, nicht, denn „die einen haben ein Schicksal, und die anderen sind nur den Schicksalsträgern dienende Füllmasse“. Sie fühlt sich als Füllmasse.

Kein Wunder, dass in ihr mehr und mehr der Eindruck aufgekommen ist, im Leben „an einer Kreuzung den falschen Weg gewählt“ zu haben und später, als sie den Fehler erkannt hatte, nicht umgekehrt zu sein, „weil sie hoffte, auch dieser Weg müsse schließlich an ein Ziel führen“. In dieser Situation lernte sie (in dem vorangegangenen Roman „Endmoränen“, den gelesen zu haben kein Muss hinsichtlich des Verständnisses, jedoch lohnend ist) den russischen Galeristen Igor kennen und erlebte mit ihm eine kurze rauschhafte Affäre, aus der zögernd eine vorsichtige Freundschaft erwachsen ist. Von Achim wie auch die Defizite ihrer Beziehung bislang konsequent nicht zur Kenntnis genommen.

Erst als Johanna nach Amerika aufbricht und ihn allein zurücklässt, schreckt er hoch, und sein Interesse für seine Frau, zumindest der Anteil des männlichen Besitzanspruchs, wächst in dem Maße, in dem ihm die Wertschätzung Igors für Johanna und – fast noch mehr – das liebevolle Verhältnis Johannas zu dem Hund Bredow bewusst wird. Welcher Mann kann es schon verwinden, dass jemand anderes und dann womöglich auch noch ein Hund ihm den Rang in Sachen Zuneigung streitig macht.

So läuft er denn, während Johanna im Flugzeug sitzend ihr vermeintliches Nicht-Schicksal Revue passieren lässt und voll zaghafter Neugier der ersten persönlichen Begegnung mit ihrer russischen Brieffreundin und womöglich sogar mit Leonora Carrington entgegenfliegt, unruhig durch die vertrauten Straßen Berlins und versucht seinerseits, das Vergangene zu rekapitulieren. Versucht zu verstehen, was ihm da durch den Auf- und Ausbruch seiner Frau widerfährt und was das mit dem Zottelhund Bredow zu tun hat. Wir als Leser erleben das Geschehen sowohl aus der Perspektive der Frau als auch der des Mannes, also in einer Erzählweise, die für diese Autorin ein Novum, in der Literatur aber durchaus häufiger zu finden ist. Wenn auch bisher vorwiegend von Männern, die sich an der Frauensicht versuchten, so gehandhabt.

Entstanden ist ein feinsinnig präzise und hintergründig ironisch gezeichnetes Tableau: die psychogrammartige Beschreibung einer langen Ehe, des Älterwerdens im Kontext der Zeitgeschichte, des nervigen Abschiednehmens von jugendlicher Attraktivität. Das alles in einer starken, klaren Sprache festgehalten, gelassen erzählt, souverän, ohne vordergründige Dramatik, ohne Eskapaden orientierungsloser Spassgesellschaftler und ohne zeitgeistige Verbalakrobatik. Was sich nicht zuletzt daraus ergibt, dass einerseits die Protagonistin als Mitfünfzigerin dem Durchschnittsalter des sonst eher üblichen Personals aktueller Gegenwartsliteratur entwachsen ist und sich andererseits ein oder sogar der wesentliche Teil der Handlung vor allem im Kopf der Hauptfigur abspielt.

Für Johanna – und damit wohl für Monika Maron – zählt Glück zur Kategorie der Gefühle. Zweifellos lässt es sich weiteren Kategorien zuordnen. Zumindest indirekt ist die Frage nach dem Glück, die seit geraumer Zeit wieder literarische Konjunktur hat, immer auch eine Frage nach dem Sinn. Nach dem Sinn des Lebens, nach einem gelungenen Leben. Und was ist das nun? Vielleicht, wenn „alles bis zur Hühnerkralle verwertet wird“, sagt Hannes Strahl, dem Johanna den Hund Bredow während ihres Amerikaaufenthaltes anvertraut hat. „Und man überall Wurzeln schlagen kann, notfalls in der Luft“. Oder wenn man dem amerikanischen Mythenforscher Campbell gemäß dem „bliss“ folgt, was „so etwas wie ein inneres Wissen über sich selbst, die eigene Vorstellung vom Glück“ ist. Und wenn Johanna dann das Gefühl hat, nicht mehr Füllmasse zu sein, sondern ihr eigenes Schicksal zu leben. Ob es ihr gelingen oder ob der Aufbruch grandios scheitern wird, bleibt offen. Was nicht nur literarisch legitim, sondern durchaus angenehm ist. Denn der Phantasie bleibt Raum zu eigenen Aufbrüchen. Und der Autorin die Möglichkeit zu einer Fortsetzung.
 


Monika Maron: Ach Glück
Roman. S. Fischer Verlag. 2007. Gebunden, ISBN: 978-3-10-048820-6, 18.90 Euro

 

 

 

 

© Christa Tamara Kaul