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Wilfried Stroh:

Latein ist tot,

es lebe Latein!

Kleine Geschichte

einer großen Sprache
 

List Verlag. 2007. 18,00 Euro.

ISBN-10: 3471788298

ISBN-13: 9783471788295

 

 

 

 

 

Vivat lingua Latina!

 

Vom Zauber einer Sprache, in der sich kaum labern lässt
 

Von Christa Tamara Kaul  -  Juni 2007

 

 

Über die faszinierende Geschichte und die Vorzüge einer wunderbaren Sprache, in der sich kaum labern lässt, berichtet der Altphilologe Wilfried Stroh in seinem Buch „Latein ist tot, es lebe Latein“. Mit einiger Berechtigung hätte er sein Werk auch „Erstaunlich lebendig“ betiteln können. Denn für eine mehrfach tot Gesagte erweist sich Latein noch immer als wundersam  vital – und schön.

Qualis dominus, talis et servus, vulgo: Wie der Herr, so ’s Gescherr. Oder, etwas umformuliert: Wer die Macht, hat das Sagen. Und da das Imperium Romanum Jahrhunderte lang die Macht hatte, beherrschte Latein als Lingua Franca auch Jahrhunderte lang die offizielle Kommunikation fast ganz Europas, dazu weiter Teile Afrikas und Vorderasiens. Selbst im Nachklang des römischen Staates dominierte Latein noch lange Zeit weiterhin die Kulturen Europas – und einte sie bis zu einem gewissen Grad. Was in Vokabular und Grammatik vieler europäischer Sprachen und auf vielen weiteren Gebieten unverkennbar ist. Und wovon wir noch immer profitieren.

Und heute? Da haben inzwischen andere machtpolitisch und somit auch sprachlich das Kommando übernommen – Englisch und später das Anglo-Amerikanische schickten sich etwa ab dem 18. Jahrhundert an, zur neuen Lingua Franca unserer Zivilisation zu werden. Was dann eben so nach und nach den Niedergang von Latein als üblichem Kommunikationsmittel bewirkte. Ist Latein heute also am Ende?

Nein, sagt Wilfried Stroh, ehemaliger Professor für Klassische Philologie in München. „Das angeblich tote Latein ist in seiner Geschichte nicht nur einmal gestorben, sondern öfter – freilich um immer wieder aufzuerstehen und sich, wie der getötete Adonis, wunderbar zu verjüngen.“ Es ist ein sich wiederholendes Werden und Vergehen, das Prinzip allen Lebens also, und dieser Prozess könnte sich noch lange fortsetzen.

Zum Beweis führt Stroh uns durch die über zweitausendjährige Sprachgeschichte, ebenso unterhaltsam wie kenntnisreich. Beginnend mit dem Frühlatein, das vor 240 v. Chr. datiert, über Altlatein und das klassische Latein um die Zeitenwende, also die Zeit Ciceros und Vergils, bis zum Spätlatein, Mittellatein, Humanistischen Latein und schließlich dem Neulatein, von etwa dem 17. Jahrhundert bis heute, werden alle Perioden auf ihre Spezifika durchforstet und erläutert. Mit beeindruckender Detailkenntnis und vielen Literaturverweisen.

Der Ausdruck lingua mortua, also tote Sprache, tauchte demnach erstmals im 16. Jahrhundert auf. Doch tatsächlich, so Stroh, stirbt „Latein seinen ersten und, linguistisch gesehen, entscheidenden Tod schon um die Zeitenwende, im Zeitalter von Kaiser Augustus. Dieser Tod … entsprang dem Erlebnis lebendigster Meisterwerke, besonders von Cicero und Vergil, denen die nunmehr unveränderliche Sprache offenbar ihre Unsterblichkeit sichern sollte.“ Ein Erstarren in Schönheit also, das vertrackte „Verweile doch, du bist so schön“. In dieser Form etablierte sich Latein als universale Weltsprache, nicht zuletzt durch seine Funktion als „Muttersprache“ der abendländischen Christen. Die Völkerwanderung brachte dann erneut Leben, also Veränderung in die Sprache, allerdings nicht unbedingt zu deren Vorteil. Es bildeten sich Vulgärformen heraus, die zu der Entwicklung der verschiedenen romanischen Sprachen führten. Im Mittelalter dann der dritte Tod, es „gerinnt zu einer nur noch der eindeutigen Verständigung dienenden Wissenschaftssprache“. Um dann schließlich im vierten Sterben, siehe oben, dem Anglo-Amerikanischen als landläufigem Kommunikationsmittel Platz zu machen.

Als besonders reizvoll erweisen sich Strohs Ausführungen zu Personen oder Aspekten, die weniger bekannt sind, so wie die über den Jesuiten Jakob Balde, einen nahezu vergessenen Dichter des 17. Jahrhunderts, ohne dessen vielgestaltiges, umfangreiches Werk „die Geschichte des Latein um ein glanzvolles Kapitel ärmer” wäre. Dass ein in ordentlichem Cicero-Latein 1835 geschriebener Aufsatz einem Trierer Abiturienten namens Karl Marx zuzuordnen ist, dürfte ebenfalls weitgehend unbekannt sein. Es bezeugt einmal mehr das Fortleben des Lateinischen zu einer Zeit und in einem Umfeld, in dem es nicht unbedingt vermutet wird. Dies sind nur einige einer Fülle von Beispielen, die Stroh als Beleg für die grandiose Geschichte und Unverwüstlichkeit der alten Weltsprache zitiert.

Und diese Unverwüstlichkeit beruht, so Strohs These, eben genau auf dem erwähnten Prinzip des Werdens und Vergehens, welches zu dem Paradoxon führt, dass Latein gerade deshalb so langlebig, womöglich „unsterblich“ ist, weil es eine „tote“, also keiner Ethnie und keinem Staatsgebilde zuzuordnende Sprache mehr ist, sondern ein allgemeines, allen zukommendes Vermächtnis. Und weil, darüber hinaus und vor allem, diese wunderbare Sprache so signifikante Merkmale hat. Etwa die Strukturierung, die mehr oder minder dazu zwingt, einerseits das Wesentliche knapp auszudrücken und andererseits präzise mitzudenken, und die es schwer macht, zu labern und zu schwafeln, wie der 1939 in Stuttgart geborene Pastorensohn nachdrücklich betont. „Mancher pompöse Satz, wenn man ihn ins Lateinische übersetzt, steht so ärmlich da wie Andersens Kaiser in seinen neuen Kleidern: eripitur persona, manet res – Die Maske fällt, die Sache bleibt.“

Fast selbstverständlich, dass Stroh zu den Verfechtern des gesprochenen Lateins gehört; was allerdings für Zeitgenossen nach wie vor die schwierigste Übung ist. Doch Stroh ist ein Liebender, der das Objekt seiner Begierde glühend verehrt und, wie so manch anderer Liebender auch, zum Überschwänglichen neigt. Eben dieser Enthusiasmus hat sowohl denen, die Latein schon lange lieben, als auch jenen, die diese Sprache erst besser kennenlernen möchten, ein wunderbares Geschenk beschert, eine ebenso fundierte wie unterhaltsame Sprach- und Kulturgeschichte einschließlich Zeittafel, Aussprache-Empfehlungen, aufschlussreichem Literaturverzeichnis und Register.

O quoties obitum linguae statuere Latinae!
Tot tamen exequiis salva superstes erat.

Immer von Neuem sagen sie tot die lateinische Sprache,
jedes Begräbnis jedoch hat sie gesund überlebt.

Na dann: herzlichen Glückwunsch, Latein – und auf ein noch langes, langes Leben!
 

 

 

 

© Christa Tamara Kaul