Martin Suter: Allmen und die Libellen
Vom stilvollen Verarmen und noblen Tricksen
von
Christa
Tamara
Kaul
- 2011
Anmutig und elegant schweben Libellen über das Wasser. Fast
so leicht wie sie kommt auch der neue Roman von Martin Suter mit
seinem nonchalanten Protagonisten Johann Friedrich von Allmen daher, einem Dandy, der sein
einst immenses Vermögen nahezu durchgebracht hat. Not macht bekanntlich erfinderisch,
und so sinnt der stilvoll verarmte Lebemann auf Abhilfe. Und die scheint
ihm ausgerechnet in Form von Libellen entgegenzukommen, genauer gesagt,
in fünf hinreißend schönen, mit Libellen geschmückten
Jugendstil-Glasschalen. Doch tatsächlich ziehen sie ihn in ein übles
Verbrechen hinein.
„Jeder meiner Romane ist eine Hommage an eine literarische Gattung.
Dieser ist eine an den Serienkrimi, Fortsetzung folgt.“ So kündigt der
Autor sein neues Buch Allmen und die Libellen an. Und das ist zunächst
eine durchaus erfreuliche Nachricht. Doch stimmt sie auch?
Ob das mit dem Gattungsbegriff so literaturwissenschaftlich genau zu
nehmen ist, darf schon mal bezweifelt werden. Zum einen ist zwar ein
Kriminalfall der Motor der Handlung. Doch der Autor ergeht sich weder in
auf dem Krimi-Markt weit verbreiteten Brutalostil noch in
Hardcore-Szenen. Ganz im Gegenteil, er umfängt den Leser auch hier mit
dem typischen, scheinbar harmlosen, unterschwellig elegant-ironischen
Suter-Stil. Und der lässt weder Ekel noch Grauen aufkommen, sondern eher
wohlige Spannung. Es ist eine – bisweilen durchaus zynische –
Kriminalkomödie.
Und zum anderen, was den Gattungsbegriff angeht – auch in den
vorangegangenen Romanen des Autors trieben Verbrechen sowohl die
Handlung als auch die persönliche Entwicklung des literarischen
Personals voran. Besonders ausgeprägt in Small World oder Ein perfekter
Freund. Nur das dort die Geschichten komplexer und die psychologischen
Entwicklungskomponenten stärker ausgeprägt sind.
Doch unabhängig von einer Gattungszuordnung: Wie immer schafft Suter es
auch hier, seine Figuren auf raffiniert unauffällige Art im Kopf der
Lesenden Gestalt annehmen zu lassen. Ein paar typische Gesten oder
Marotten, ein paar spezifische Sätze, einige individuelle Details ihres
Lebensstils genügen, um sie in der Phantasie anschaulich zu etablieren. Dieses Mal
gilt das für den einst steinreichen Herrn Hans Fritz von Allmen,
Betonung auf dem „von“, der seinen Namen des höheren Renommees wegen
in Johann Friedrich von Allmen ändern ließ. Als er noch genügend
Geld besaß, um sich diese Ausgabe leisten zu können. Er hat sich mit
seinem guatemaltekischen Diener, der nicht nur treuer, die
gesellschaftliche Rangordnung peinlichst genau beachtender Diener,
sondern auch ein überaus gewitzter Partner ist, in ein ehemaliges
Gewächshaus zurückgezogen. In das Gewächshaus, das zu dem riesigen
Anwesen mit feudaler Villa am Züricher See gehört, das er schon vor
Längerem aus Geldnot an eine Nobelfirma verkaufen musste. Das allerdings
mit der Klausel, ewiges Wohnrecht in eben diesem Gewächshaus zu
besitzen.
Von Allmen zeichnet neben exzellenter Bildung und Umgangsformen vom
Feinsten vor allem eine Mischung aus hoch entwickelter Realitätsferne
und kostspieligen Allüren aus. Da muss jedes Vermögen mit der Zeit in
die Knie gehen. Und in seinem Bemühen, das finanzielle Desaster
irgendwie zu wenden, kommt ihm eines Tages das Schicksal in Form der
liebestollen Milliardärstochter Jojo aus der feinsten Zürcher
Gesellschaft zur Hilfe. Deren steinreicher, aber todkranker Vater
besitzt eine einmalig wertvolle, faszinierende Sammlung antiker
Glasobjekte. Dumm nur, dass viele von diesen Sammlerstücken nicht auf
dem Weg von Gesetz und Ordnung in seinen Besitz gelangt sind. Dumm auch,
dass die Sammlung zwar in einem abseits gelegenen Raum
untergebracht ist, zu dem aber ausgerechnet eine der Türen von Jojos
pompösen Schlafgemach führt. Und bei dem Bemühen, am Morgen nach der
ersten Nacht mit Jojo möglichst schnell und unbemerkt das Weite zu
suchen, erwischt der von Jojo vernaschte Dandy versehentlich die falsche
Tür, nämlich die, die in den Raum mit der Glasmenagerie führt. Nun kann die Geschichte
ihren spannungsreichen, verzwickt amüsanten Verlauf nehmen. An dessen
Ende, nach durchlesener Nacht, stilvoll unterhaltene Leser und
Leserinnen vergnügt in die Kissen zurücksinken.
Martin Suter hat es mit seinem untrüglichen Gespür für Wortwahl und
Spannungsaufbau einmal mehr geschafft, ein Buch mit Aussichten auf
Bestsellerplatzierung vorzulegen. Gut, ein paar Sprachschnitzer gibt es,
beispielsweise das Bemühen, farbige Frühlingsgefühle zu erwecken: “Die
Forsythien schrien ihr Gelb in den blassblauen Himmel, der Flieder
verbarg sein Lila still im Blattwerk.“ Na gut, geschenkt. Vergessen.
Denn alles in allem ist Allmen und die Libellen ebenso amüsante wie
feinnervige Unterhaltung. Ein libellenhaft luftig-leichter
Schmöker von bestem Niveau. Ob die Fortsetzungsfolgen halten, was Allmen
und Kompagnon Carlos hier versprechen? Mal sehen.
Martin Suter: Allmen und die Libellen
Roman, Hardcover Leinen, 208 Seiten
Diogenes Verlag, Zürich 2011, 18.90 Euro
ISBN 978-3-257-06777-4