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Archegärten für
biologische Vielfalt
Von Christa Tamara Kaul - September
2025
Foto: Peter
Weidemann, Pfarrbriefservice
Friedhöfe – für die einen sind sie Orte der Trauer,
für andere eher stille Parks, die zum erholsamen Verweilen einladen.
Doch sie sind und können – gerade heute – noch viel mehr: Es sind
(Über-) Lebensräume für Pflanzen und Tiere im stadtnahen Umfeld, die
auch zu Orten des Dialogs und sogar zu Lernlaboren für die Zukunft
werden können. Darauf zielt das ITZ-Projekt „Der Friedhof lebt –
Interreligiöse Archegärten in Deutschland“.
Seit Sommer 2023 zeigt das Institut für Theologische Zoologie (ITZ)
Münster mit diesem Projekt, unterstützt durch das
Bundesumweltministerium, das Bundesamt für Naturschutz und die
Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW, dass und wie Friedhöfe zu sogenannten Archegärten werden können – mit Wildblumen, Tag- und
Nachtfaltern, interreligiösen Gesprächen und einer Menge frischer
Ideen, bei denen der Blick weg vom Lebensende hin zum gesamten
Lebenskreislauf gelenkt wird.
Sowohl das Christentum als auch Judentum und Islam kennen die Arche
als Sinnbild des Überlebens – und des geschützten Lebens überhaupt.
An diese Symbolik knüpft die Idee der so genannten Archegärten an,
und die Vision ist ebenso simpel wie kraftvoll: Friedhöfe sollen
nicht nur an die Toten erinnern, sondern eben auch Räume für das
Leben sein. Sie sind schon heute grüne Inseln mitten in Städten,
wichtig fürs Klima und Rückzugsraum für Tiere. Zwischen Grabsteinen
und alten Mauern, angezogen von gepflegtem Grabschmuck ebenso wie von
vielerlei Wildwuchs, verbirgt sich nämlich schon jetzt eine
erstaunliche Artenvielfalt – von Libellen und Faltern über Wildbienen
bis hin zu jeder Menge Wildkräutern und seltenen Flechten. Das
Projekt will diese Schätze sichtbar machen und aktiv fördern.
Und es reagiert damit auch und besonders auf den tiefgreifenden
Wandel der Bestattungskultur, der sich schon seit längerem
abzeichnet. Feuer- statt Erdbestattungen, nachhaltige Särge und
naturnahe Baumbestattungen sind nur ein paar Beispiele dafür. Dieser
Wandel sorgte beispielsweise in Frechen dafür, dass bereits 2008 der
interfraktionelle „Arbeitskreis Friedhofsentwicklung“ ins Leben
gerufen und dann eine bis dahin fehlende Friedhofskonzeption für alle
städtischen Friedhöfe erstellt wurde. Die Neufassung der Bestattungs-
und Friedhofssatzung trat 2024 in Kraft. Darin wurden u. a. neue
Bestattungsformen wie pflegefreie und anonyme Gräber ebenso wie die
neue, naturnahe Bestattungsart „Baumbestattung“ (diese zunächst nur
für den Friedhof St. Audomar) aufgenommen.
Vom Gottesacker zum Archegarten – bei dem ITZ-Projekt dient das
biblische Bild der Arche als verbindendes Symbol des Lebens in seiner
Vielfalt und passt damit nicht nur zur ökologischen Dimension,
sondern auch zum interreligiösen Anspruch der Aktion. Denn
Archegärten entstehen sowohl auf christlichen als auch auf jüdischen
und muslimischen Friedhöfen. So sollen diese nicht nur zum Treffpunkt
zwischen Natur und Religion, sondern auch zum Bindeglied zwischen den
Religionen werden und damit auch den interreligiösen Naturschutz
stärken. Die Konzeption des Projekts geht auf die
Agrarwissenschaftlerin und jüdische Theologin Dr. Deborah Williger
zurück, die das Vorhaben als Ideengeberin und Projektleiterin
maßgeblich prägt. Start der Aktion war Anfang August 2023 im Rahmen
des Bundesprogramms Biologische Vielfalt.

Dabei bleiben traditionelle Pietätsregeln gewahrt. Auch individuelle
und übergeordnete Vorgaben – etwa aus dem religiösen,
denkmalpflegerischen oder naturschutzrechtlichen Bereich – werden in
der Gestaltung berücksichtigt. Die bestehenden Grabstätten werden
achtsam in das Archegarten-Konzept integriert und dienen zugleich als
Orte der Besinnung und inneren Öffnung. Als Pilotstandorte dienten
zunächst christliche, muslimische und jüdische Friedhöfe in Münster
und Erftstadt. Dort entstanden interdisziplinäre Bildungs- und
Praxisformate, die sowohl ökologische als auch theologische,
praktische, didaktische und digitale Aspekte miteinander verbinden.
Weitere Orte kommen ständig hinzu – denn das Ziel ist es, das Konzept
bundesweit zu etablieren. Mit über 30 000 Friedhöfen in Deutschland
ist das Potenzial enorm.
Wenn der Friedhof zur Bühne wird: Da, wie gesagt, nicht nur Flächen
umgestaltet, sondern vor allem auch Menschen einbezogen werden
sollen, gibt es ein buntes Veranstaltungsprogramm. Das
Nachtfalterleuchten verwandelte beispielsweise im Sommer 2024 mehrere
Münsteraner Friedhöfe und im September 2025 den jüdischen Alten
Friedhof in Erftstadt-Liblar in abendliche Insektentheater. Unter
UV-Licht flatterten unzählige Nachtfalter, während Biologen
erklärten, warum auch die unscheinbaren Nachtschwärmer wichtig für
unser Ökosystem sind. Dazu werden Interreligiöse Spaziergänge und
digitale Salongespräche, Aktionstage wie der „Tag der offenen Tore“
oder Feste wie das „Dünenfest“ angeboten – immer mit dem Ziel,
Friedhöfe als Orte lebendiger Begegnung erfahrbar zu machen. Kurz
gesagt: Der Friedhof wird Bühne, Labor und Klassenzimmer zugleich.
Ausblick von Münster in die Republik: Noch ist das Projekt in der
Pilotphase. Phase zwei zielt darauf, die Idee der Archegärten zu
verbreiten und deutschlandweit ausgesuchte Friedhöfe entsprechend
weiter zu entwickeln. Die Chancen stehen gut: Mit überschaubaren
Mitteln wie Blühflächen, Nisthilfen oder geänderten Mähzyklen
entstehen rasch Hotspots der Biodiversität. Ab 2026 können dann
Friedhöfe in ganz Deutschland mit dem Projekt vernetzt werden und
sich als Archegärten anschließen.
Wo bislang Erinnerung dominierte, wird es also immer lebendiger,
wird es
immer mehr summen, wachsen und blühen. Indem Friedhöfe zunehmend als Begegnungsorte erlebt sowie als Stätten des Lebenskreislauf und des
interreligiösen Naturschutzes wahrgenommen werden, gedeiht damit
vielfach auch eine kritische Sicht auf die anthropozentrisch
angelegte Theologie. Auf eine Theologie, die den Menschen total in
den Mittelpunkt der Schöpfung stellt und seine Angewiesenheit auf die
gesamte Natur zu wenig wertschätzt oder ganz unterschlägt. Ganz zu
schweigen von der weitgehenden Missachtung der nichtmenschlichen
Mitgeschöpfe. Auch hier könnte das Archegarten-Projekt helfen, ein
Um- und Weiterdenken zu fördern. Denn - davon ist Dr. Rainer Hagencord,
der 1.Vorsitzende des ITZ, überzeugt - ein falsches Bild von den
Tieren führt auch zu einer falschen Auffassung von Gott.
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