
Die Würde des Tieres ist
unantastbar
oder: Vom Elend
der Anthropozentrik
Christa Tamara Kaul - November
2017
Das Verhältnis
von Mensch und Tier ist so alt wie die
Menschheit selbst: Es ist die älteste Beziehung,
die der Mensch kennt. Doch es ist eine
verhängnisvolle, ja großenteils grauenvolle
Affäre – aus Sicht der Tiere. Sie hat ihnen
unsägliches Leid gebracht und bringt es
weiterhin. Und wir tragen fast alle täglich dazu
bei.
"Es gibt zwei Kategorien von
Tieren. Die eine glaubt,
dass es zwei Kategorien von Tieren gibt, und die andere hat darunter
zu leiden." So beginnt Richard David Precht sein Buch „Tiere
denken“. Umgangssprachlich ist oft davon die Rede, dass jemand wie
ein Tier behandelt werde, wenn dieser Mensch durch seine Artgenossen
besonders zu leiden hat. Diese wenigen Worte fassen so ziemlich das
ganze Elend der Anthropozentrik, der uns meist geläufigen
Vorstellung vom Mensch-Tier-Verhältnis, komprimiert zusammen. Dabei
ist das Verhalten sehr vieler Menschen hochgradig schizophren: hier
ein paar verhätschelte Haustiere, dort die Masse der überwiegaend
tierquälerisch ausgebeuteten und geschundenen Nutz- und
Versuchstiere. Doch dieser skandalöse Zustand lässt sich spätestens
in unserer Zeit aufgrund der Erkenntnisse sowohl der
Naturwissenschaften als auch der Sozialwissenschaften und selbst der
Theologie in keiner Weise mehr rechtfertigen.
Die Mitgeschöpflichkeit der Tiere wird zwar in den
meisten Religionen erwähnt, aber gleichzeitig im täglichen Umgang,
Stichwort Massentierhaltung, und oft auch im rituellen Kontext,
Stichwort Schächten, hochgradig missachtet. Und wie Precht darlegt,
gilt es auch, einige Mythen aufzugeben. So wurde schon immer und
wird weiterhin beispielsweise das Verbot der Tiertötung im
Buddhismus und teilweise auch im Hinduismus schnell obsolet, wenn es
hochrangige Persönlichkeiten danach drängt, Tiere jeder Art zu jagen
oder zum Vergnügen, ähnlich den altrömischen Zirkusspielen, zu
quälen. Von Misshandlungen im täglichen Leben ganz zu schweigen. Im
Christentum war und ist es nicht besser – trotz eines Franz von
Assisi, der Esel und Kuh als Bruder und Schwester, also Tiere als
Geschwister ansah. Auch Gotthard M. Teutsch, einer der christlichen
Tierrechtspioniere, widersprach schon vor vielen Jahren der mit der
Gottebenbildlichkeit begründeten Nutzungsermächtigung in Bezug auf
Tiere und dem Herrschaftsanspruch gegenüber der nichtmenschlichen
Natur. Ein Weckruf mit bislang mäßigem Erfolg. Doch immerhin gibt es
Lichtblicke – und Indizien dafür, dass die christliche Ethik die
traditionell anthropozentrisch-binnenmenschliche Begrenzung
überwinden könnte.

Lucas Cranach d. Ä. (1472-1553)
Werkstatt: St. Hieronymus, der Übersetzer der „Vulgata“, behandelt
einen verletzten Löwen, mit dem er dann zusammen lebte, Landesmuseum
Mainz
Das Institut für Theologische
Zoologie (ITZ) (http://www.theologische-zoologie.de/)
an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster ist so ein
Leuchtturm. Das Ziel dieses 2009 von dem katholischen Priester und
Biologen Dr. Rainer Hagencord gegründeten Instituts, das unter der
Schirmherrschaft der Schimpansenforscherin und
UN-Friedensbotschafterin Jane Goodall steht, ist eine ethische und
theologische Auseinandersetzung mit Fragen der Tierforschung,
Verhaltensbiologie und Evolutionstheorie. Hagencord appelliert an
alle Christen, ihr Verhalten zu überdenken. Denn Tiere seien weder
als seelenlose Automaten, wie unheilvollerweise von René Descartes
(1595–1650) behauptet, noch als bessere Menschen zu sehen, sondern
schlicht und unleugbar als Mitgeschöpfe eigener Art. Dabei sieht
Hagencord sich durch Papst Franziskus bestärkt, der in der
Umwelt-Enzyklika "Laudato si" (2015) die „große anthropozentrische
Maßlosigkeit“ anprangert, die den Eindruck erwecke, dass die Sorge
für die Natur eine Sache der Schwachen wäre.
System der strukturellen Sünde: „Hinter jedem Ei steckt
Tierquälerei“, und zwar oft selbst dann, wenn diese aus sogenannter
Freiland- oder Bio-Haltung kommen. Was im vergangenen Sommer –
einmal mehr – durch etliche in den Medien veröffentlichte
Undercov-Recherchen von Tierschützern nachwiesen wurde. Wer aber
Tiere als Mitgeschöpfe betrachte, so Hagencord kürzlich im Kölner
Domradio (siehe unten), stehe voll in der Verantwortung.
„Wenn wir schauen, wie heute Fleisch hergestellt wird, „sehen wir …
ein System der strukturellen Sünde, weil sich in

diesem
System nur die Fleisch- und die Pharmaindustrie dumm und dämlich
verdienen. Alle anderen verlieren: die Landwirte, der Boden, das
Grundwasser, die Artenvielfalt“ – und allen voran eben die Tiere.
Zudem schuften in deutschen Schlachthöfen Arbeitsmigranten unter
schlimmsten Bedingungen wie Erpressung und Schlägen, was sich
logischerweise zusätzlich auf die Behandlung der ohnehin schon
geschundenen Tiere auswirkt. Wirklich neu ist das alles nicht.
Bereits 1989 verabschiedeten die Deutsche Bischofskonferenz und der
Rat der EKD gemeinsam die – allerdings wenig beachtete – Erklärung
"Gott ist ein Freund des Lebens", in der es u.a. heißt: "Die Werke
des lebendig machenden Geistes sind Liebe, Friede, Güte, Treue,
Sanftmut, Gerechtigkeit (Galater 5,22f; Epheser 5,9), die sich im
Umgang mit allem Lebendigen bewähren müssen. Darum heißt es auch im
Alten Testament über das Verhältnis des Menschen zum Tier: ‘Der
Gerechte weiß, was sein Vieh braucht, doch das Herz der Frevler ist
hart.’ (Sprüche 12,10)." Deshalb braucht es immer wieder „Gerechte“
– wie das Pfarrerehepaar Christa und Michael Blanke.
AKUT Aktion Kirche und Tiere (siehe unten):
Diese von Christa und Michael Blanke aus Glauberg gegründete
Organisation versteht sich als „theologischer Verein“, der willens
ist, ein „Defizit der Kirche anzugehen“, gemäß dem Wort Jesu: „Gehet
hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.“ (Markus
16,16). In dem der Arbeit zugrunde liegenden „Glauberger
Schuldbekenntnis“, das von vielen Theologen unterzeichnet wurde,
heißt es u.a.: „Wir haben als Christen versagt, weil wir in unserem
Glauben die Tiere vergessen haben…“ Jetzt, 2017, brachte AKUT
zusammen mit dem ITZ und anderen christlichen Gruppierungen
anlässlich des evangelischen Kirchentages in Berlin, eine
ökumenische Tierschutz-Resolution (siehe unten) ein, die vom
Kirchentag verabschiedet wurde. In ihr werden – auch hier mit Bezug
auf die Enzyklika "Laudato si" – die industrielle Massentierhaltung,
die Tierversuche und das damit verbundene qualvolle Leben und
Sterben der Tiere als tiefe Verletzung deren Mitgeschöpflichkeit
gebrandmarkt.
"Auschwitz fängt da an, wo einer im Schlachthof steht und denkt:
Es sind ja nur Tiere". Ob dieser von Tierschützern Theodor W. Adorno
zugewiesene Ausspruch tatsächlich von ihm stammt, ist unklar.
Inhaltlich verkehrt ist er jedenfalls nicht. Und dem ist auch nicht
mehr viel hinzuzufügen – außer vielleicht die von Jesus selbst
formulierte Goldene Regel (Matthäus 7,12): „Behandelt andere so, wie
ihr von ihnen behandelt werden möchtet.“ Letztendlich die Vorlage
für Immanuel Kants Kategorischen Imperativ – und dessen deutliche
Warnung „Wir können das Herz eines Menschen danach beurteilen, wie
er Tiere behandelt... Die Grausamkeit gegen die Tiere ist der
Pflicht des Menschen gegen sich selbst entgegengesetzt.“
(1797,
Metaphysik der Sitten) Anders
formuliert:
In dem Maß, in dem der Mensch die
Würde des Tieres verletzt, verliert er seine eigene.
(Dieser Beitrag ist zuerst in der
ökumenischen Zeitschrift IM TEAM (2/2017) erschienen.)
Links:
ITZ – PTH Münster – Institut für Theologische Zoologie
http://www.theologische-zoologie.de/
AKUT Aktion Kirche und Tiere
http://www.aktion-kirche-und-tiere.de/
AKUT-Resolution vom ev. Kirchentag 2017
http://www.kirche-in-koenigsdorf.de/AKUT-2017-ResolutionAKUT_V_NAH-002.pdf
domradio: Tierrechtler-sieht Kirche bei artgerechter Haltung in
der Pflicht
https://www.domradio.de/themen/ethik-und-moral/2017-02-14/tierrechtler-sieht-kirche-bei-artgerechter-haltung-der-pflicht
Literatur
Kurt Remele, Die Würde des Tieres ist unantastbar. Eine neue
christliche Tierethik, Butzon & Bercker, 2016, ISBN-13:
978-3766622334
Richard David Precht, Tiere denken, Goldmann Verlag, 2016,
ISBN-13: 978-3442314416
Rainer Hagencord, Die Würde der Tiere: Eine religiöse
Wertschätzung, Gütersloher Verlagshaus, 2011, ISBN-13:
978-3579065649
Gotthard M. Teutsch, Die Würde der Kreatur, Paul Haupt, Bern,
1995, ISBN-13: 978-3258051833
Gotthard M. Teutsch, Mensch und Tier: Lexikon der
Tierschutzethik, Vandenhoeck & Ruprecht, 1987, ISBN-13:
978-3525501719
