Wenn es nicht so läuft, wie es soll, wird der Rat von Experten
gesucht. Dies ist durchaus klug. Da in unserer Zeit vielfältiger
gesellschaftlicher und ökonomischer Umbrüche manches nicht so läuft, wie
es soll, und zwar weder in der freien Wirtschaft noch in teilregulierten
Sektoren wie dem Gesundheitswesen, hat die Consultingbranche
Hochkonjunktur. Doch nicht nur Unternehmen werden fit gemacht für den
globalisierten Überlebenskampf. Auch und gerade Otto und Anna
Normalbürger scheinen kaum noch ohne befördernde Maßnahmen, sprich Coaching, auszukommen.
Hier Kosten-/Nutzenrechnungen von Unternehmen und Organisationen
durchforsten, da Arbeitsabläufe auf Effizienz überprüfen, dort die
Strukturen der medizinischen Versorgung auf ihre zeitgemäße Tauglichkeit
hinterfragen: an Aufgaben für Unternehmensberater mangelt es nicht. Auch
wenn Letztere heute kaum noch so heißen, sondern fast ausschließlich als Consultants daherkommen. Wo es an Aufgaben und damit Nachfrage nicht
mangelt, gedeiht unausweichlich das Angebot. Und die Nothelfer und
Heilsbringer finden ein wahrlich ergiebiges Terrain. Dies lässt sich bei
den großen Consultingunternehmen nicht zuletzt an der Suche nach neuen
Mitarbeitern ablesen.
So heißt es auf der
Internetseite der Firma Roland Berger Strategy Consultants, auf der
es um Beratung im Gesundheitswesen geht: „Um die Chancen im
Gesundheitswesen zu nutzen (also die Chancen der Beratungsfirma, d.
Aut.), haben wir ein interdisziplinäres Team zusammengestellt. …
Unsere Innovationsführerschaft im Healthcare-Bereich wollen wir ausbauen
und langfristig sichern. Um die Brücke zwischen betriebswirtschaftlicher
und medizinischer Sichtweise weiterhin erfolgreich zu schlagen, suchen
wir neue Kollegen.“
Nicht weniger animiert von den sich auf diesem Gebiet eröffnenden
Möglichkeiten ist die
Konkurrenz. Kienbaum Consultants International: „Die
Health-Care-Branche ist weltweit ein Zukunftsmarkt mit einem enormen
Wachstumspotenzial. Durch das gleichzeitige Wachstum der Weltbevölkerung
und der weltweiten Ansprüche an Gesundheitsleistungen eröffnen sich für
Anbieter innovativer Dienstleistungen und Produkte neue Märkte und
Chancen.“
Als ebenso viel versprechend werden die Zukunftspotenziale des Web 2.0
gehandelt. Dazu stellte kürzlich die Strategie- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton eine internationale
Studie
des Nutzerverhaltens von Web 2.0 vor, die prognostiziert,
„dass die weiter steigende Akzeptanz und Nutzung von Web 2.0-Diensten
ein wichtiger Treiber der kontinuierlichen Verschiebung von Offline- zu
Onlineaktivitäten und eines weiterhin starken Wachstums der
Internetökonomie ist“.
Drei mehr oder minder beliebige Indizien aus einer riesigen Fülle
weiterer, die belegen, dass das Consultinggeschäft floriert, und zwar so
sehr, dass nur noch schwer zu unterscheiden ist, wer wem mehr hilft,
wessen Entwicklung mehr befördert wird, die der Heilsempfänger oder die
der Heilsbringer.
Aber wie das auf fruchtbarem Boden so ist, da floriert nicht nur
Nützliches, da wuchert auch Unkraut – sprießt Mittelmaß und Minderwert.
Dass da unter den externen Heilsbringern, selbst in renommierten Firmen,
so manche Intention keimt, die nicht nur auch, sondern vor allem das
eigene Unternehmen in gleißende Gewinnzonen wachsen lassen möchte,
versteht sich fast schon von selbst. Geahnt hatten wir es ohnehin schon
lange. Dass das aber tatsächlich so ist, wissen wir spätestens, seit vor
rund zehn Jahren Jörg Stautes „Consulting-Report“(1) erschien, in dem
der Ex-Consultant einer renommierten Beratungsfirma aus dem Nähkörbchen
plauderte. Da ist viel heiße Luft im System.
Geändert hat sich bis heute offensichtlich nicht viel. Das belegen in
der Praxis die vielen in den letzten Jahren beratenen oder von Ex-Consultants gegründeten und dennoch Pleite gegangenen Firmen. Wobei
das Schicksal keineswegs nur ungezählte unbekannte, einst hoffnungsfroh
gestartete Kleinunternehmen traf, sondern eben auch große, spektakuläre
Fälle wie Herlitz, Holzmann, Babcock, Swissair, Enron und – Fortsetzung
fast beliebig. In der Theorie zeigten es diverse Publikationen, die auf
den Consulting-Report folgten und die immer wieder Schwachstellen
aufdeckten und vor falschen Erwartungen warnten. So etwa 2003 Rainer
Steppans „Versager im Dreiteiler“(2) oder im vergangenen Jahr „Wes Brot
ich ess’, des Lied ich sing’“(3) von Winfried Abele und Stefan Scheurer.
Doch noch immer werden Consulting-Leistungen von hilflos-rigorosen
Managern auch und gerade als Camouflageinstrument eigener Unfähigkeit
benutzt. Und die Kernaussage von Staute besitzt offensichtlich nach wie
vor Gültigkeit: „Die Branche boomt, da bleibt keine Zeit zum Nachdenken,
da wird viel bewegt, aber nichts verbessert.“
Da das Ergebnis einer Unternehmensdurchleuchtung grundsätzlich – und
korrekterweise – nur dem jeweiligen Auftraggeber zur Kenntnis gebracht
wird, lässt sich der Inhalt durchaus so gefiltert und portionsweise
veröffentlichen, dass damit gezielte Grausamkeiten – quasi amtlich
beglaubigt – durchgesetzt werden können. In Wahrheit wurden und werden
oft genug gleich von Anbeginn der Zeremonie an bestimmte „Zielkorridore“
vorgegeben, in denen sich das Ergebnis zu bewegen hat. Allzu oft werden
strategische Ausrichtungen gefordert, die in dem jeweiligen Betrieb auch
ohne Beratung erkannt worden sind und selbst gemacht werden könnten, die
aber unpopulär und deshalb für die Geschäftsführung unangenehm sind. Die
Unannehmlichkeiten lassen sich abfedern, wenn sich eine Geschäftsführung
auf renommierte Profis berufen kann und sich dann womöglich noch
„entgegen dem dringenden Rat der Berater“ als Retter der Belegschaft in
Szene setzen kann, weil sie nur 200 Stellen abbaut statt der von den
Unternehmensberatern (angeblich) geforderten 800 Arbeitsplätze.
Camouflage eben. In den meisten, zumindest in den großen Unternehmen
gibt es jedenfalls genügend den Beratern ebenbürtige Köpfe, die dem
Consultingteam schon rechtzeitig sagen, worauf es ankommt.
Ebenfalls noch immer werden aufwändige und kostenintensive Studien
erstellt, deren auf den ersten Blick revolutionär anmutende
Rationalisierungsmaßnahmen und spektakulären Einsparpotenziale bei
näherem Hinschauen Makulatur sind, weil sie von falschen Voraussetzungen
und groben Fehleinschätzungen ausgehen. So legte Anfang Januar 2007 die
Unternehmensberatung Kienbaum der Stadt Köln im Rahmen eines Gutachtens
eine Streichliste vor, die ein Einsparpotential von insgesamt 90
Millionen Euro umfasste. Leider sind darin auch viele nicht vertretbare,
d.h. nicht realisierbare Kürzungen im sozialen Bereich enthalten,
beispielsweise bei der Betreuung behinderter Kinder, so dass viele
Vorschläge unbrauchbar, weil nicht umsetzbar, sind. Dabei sollte sich
doch eigentlich herumgesprochen haben, dass eine Kommune, also ein
soziales Gemeinwesen, mit betriebswirtschaftlichen Kriterien allein
nicht ethisch vertretbar zu gestalten ist.
Anders als bei wirtschaftlichen Großimperien mit dem beschriebenen Hang
zu kooperativen Ergebnissen ist bei mittelständischen und
Kleinunternehmen, wozu auch studentische Start-Ups oder Arztpraxen
gehören, eher die Gefahr gegeben, seitens der Berater ebenso überheblich
wie kostenintensiv mit Allgemeinplätzen und gut, d.h. notabene englisch,
verbrämten Binsenweisheiten abgespeist zu werden, mit Standardwissen,
das in jedem betriebswirtschaftlichen Ratgeberbuch zu finden ist und
logischerweise auch auf die meisten Betriebe zutrifft. Dies ist zwar
nicht schädlich, aber eben nicht die hohe Beratungsgebühr wert, weil es
nicht individuell zugeschnitten und direkt umsetzbar ist. Für solche
Tipps sollten dann auch wirklich nicht mehr als 49,90 Euro für ein
entsprechendes Buch hingeblättert werden.
Coaching für das Unternehmen Ich: Was juristischen Personen recht ist, ist natürlichen längst billig. Das
Consulting der einen ist das Coaching der anderen. Wobei die Grenzen
zwischen Consulting, Coaching, Mentoring und Psychotherapie fließend, um
nicht zu sagen verwaschen sind. Sowohl Angebot als auch
Ausbildungsprofile der Coaches sind noch um einiges unübersichtlicher
als die der Unternehmensberater.
So gibt es mindestens sechs verschiedene deutschsprachige Verbände, als
deren einflussreichster vielfach der
DBVC - Deutscher Bundesverband Coaching e.V. angesehen wird, dazu
kommen noch etliche lockere Kooperationen und diverse
Datenbankangebote. Viele sowohl abgeschlossene als auch abgebrochene
Psychologie- und Pädagogikstudien sind bei den Mitgliedern auszumachen,
aber auch zahlreiche Medien- und PR-Leute und solche aus gänzlich
anderen Richtungen drängen ins Coachinggeschäft. Es gibt theoretisch
niemanden, der nicht Coach werden könnte. Denn es gibt weder allgemein
verbindlich definierte Ausbildungs- oder Qualifikationsvorgaben noch
überhaupt eine allgemein konsensfähige Definition des Berufes.
Das Wort Coach bedeutet im Englischen Kutsche, und eine Kutsche ist ein
Transportmittel, das etwas von A nach B befördern soll. Zielstation ist
der Erfolg, der oder des Gecoachten – und der des Coaches. Immer und überall,
im Leben, im Beruf. Für Politikerinnen und Politiker beispielsweise in
Talkshows. Dort stellt sich besonders die Frage: Welchen Einfluss hat
das nonverbale Management auf den politischen Erfolg? Einen großen, sagt
Werner
Dieball, Politikwissenschaftler und Coach aus Köln, etwa 55 Prozent
der Überzeugungsarbeit werden von der Körpersprache geleistet, rund 38
Prozent von der Sprachmodulation und nur etwa sieben Prozent vom Inhalt
der Aussage. Also Mundwinkel hoch und Stimme runter, denn Piepsiges
beeinträchtigt die Kompetenzzuschreibung. Und bloß nicht ungezielt mit
den Armen fuchteln, das signalisiert Unsicherheit, gar Hilflosigkeit im
Mentalen.
Charisma ist gefragt. Ob sich dieses, wohl verstanden, mittels Coaching
erwerben lässt, sei zweifelnd dahingestellt. Ganz sicher aber lassen
sich Elemente charismatischen Auftretens antrainieren, offener
Blickkontakt, modulierte Stimme, fester Händedruck, gezielte Gestik, die
richtige Sitzposition, das ganze Programm eines VHS-Kurses „Wie stelle
ich mich richtig vor“ eben.
Und der Beratungsbedarf macht keineswegs bei den Prominenten Halt, er
übergeht mittlerweile niemanden mehr. Topmanagementorientierter
Nadelstreifenträger, softskillstarke PR-Managerin, kreativer
Dreitagebart, lifegestylte Hundesalonführerin, Sportler, Unternehmer,
Berufseinsteiger, Studenten, Schüler, Gehetzte, Frustrierte und
Unzufriedene, immer jeweils beiderlei Geschlechts, und Frauen darüber
hinaus noch sowieso, sozusagen in ihrer bloßen Eigenschaft als Frau, da
sie immer und überall zu wenig aus sich machen: Sie alle brauchen sich
ungecoacht im globalisierten Tagesgeschehen kaum noch blicken zu lassen.
Und es gibt nichts, was nicht gecoacht wird oder werden kann, und keine
Methode, die nicht zum Einsatz käme. Die Bandbreite reicht von
spirituellen, psychologischen, esoterischen, gestalterischen und
darstellerischen Ansätzen bis hin zu betriebswirtschaftlichen,
rhetorischen und reinen PR-Maßnahmen. Die meisten Coaches stellen aus
den verschiedenen Ingredienzien ihre jeweils individuelle Mischung
zusammen, die dann den positiven Durchbruch garantieren soll.
Dabei wird auf Nischen geachtet und kein Revier ausgelassen. So nahm
sich vor nicht allzu langer Zeit das Weightwatcher-Magazin der
Übergewichtigen an, indem es nicht nur Tipps anbot, wie sie ihre Kilos
loswerden, sondern gleichzeitig auch noch ihre Karriere befördern
können, und empfahl eine Kommunikationswissenschaftlerin als tatkräftige
„Karrierekomponistin“. Und die gab ihrerseits in ihrem Newsletter gleich
ein wenig erfolgsfördernden Raum an andere ab, etwa an ein aufstrebendes
Telefonmarketingunternehmen. Motto: Warum immer mehr Unternehmen auf
Telefonmarketing setzen? Weil das richtige und vor allem auch effektive
Telefonieren entsprechendes Know-how erfordert. Aha.
Es kommt halt, wie fast immer im Leben, vor allem auf die richtige
Herangehensweise an – und den richtigen Psychokick. Immerhin beginnt
nicht nur das Abnehmen, sondern fast aller Erfolg im Kopf, mit einer
zündenden Idee und der darauf basierenden Motivation. Und manche Leute
sind da beeindruckend phantasiebegabt, wenn es gilt, unterschwellige
Empfindungen anderer für sich in klingende Münze zu verwandeln. Etwa
durch durch "ganzheitliches
PR-Coaching", das
zum "Handschlag" von Cyberspace und Traum-Raum führen will, um
inneres Wissen mit äußerer Reichweite zu verbinden. Traumimpulse als
schöpferisches Potenzial zur erfolgreichen Beherrschung des Web 2.0.
Also
Traumtänzerei? So ähnlich - nur denglisch verbrämt, damit es nicht
jede/r gleich merkt: DreamGuidance. Wohl nur für
Leute, die das ganze Web 2.0 ohnehin für einen Traum halten.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es ist durchaus klug und kann
sehr hilf- und aufschlussreich sein, den Rat von Experten zu suchen,
wenn es nicht so läuft, wie es soll. Manchmal jedenfalls. Alberne und/oder
hochtrabende Versprechen
allerdings sollten mehr als skeptisch stimmen.
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(1) Jörg Staute: „Der Consulting-Report. Vom Versagen der Manager zum
Reibach der Berater“, Campus Verlag, 2. Aufl. 1996, ISBN-10: 359335540X
(2) Rainer Steppan: „Versager im Dreiteiler — Wie Unternehmensberater
die Wirtschaft ruinieren“, Eichborn-Verlag, 2003, ISBN 3-8218-3998-8
(3) Winfried Abele, Stefan Scheurer, „Wes’ Brot ich ess', des Lied ich
sing’ — Managementberatung - Kunst, Handwerk oder Geschäft mit der
Angst“, Orell Füssli Verlag, 2006, ISBN 3-280-05200-9
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