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Viel bewegen, nichts verbessern

 

Consulting im Hoch – Coaching auch

 

 

Christa Tamara Kaul       -      Erschienen am 28.01.2007 bei Telepolis >>>

 

 

Wenn es nicht so läuft, wie es soll, wird der Rat von Experten gesucht. Dies ist durchaus klug. Da in unserer Zeit vielfältiger gesellschaftlicher und ökonomischer Umbrüche manches nicht so läuft, wie es soll, und zwar weder in der freien Wirtschaft noch in teilregulierten Sektoren wie dem Gesundheitswesen, hat die Consultingbranche Hochkonjunktur. Doch nicht nur Unternehmen werden fit gemacht für den globalisierten Überlebenskampf. Auch und gerade Otto und Anna Normalbürger scheinen kaum noch ohne befördernde Maßnahmen, sprich Coaching, auszukommen.

Hier Kosten-/Nutzenrechnungen von Unternehmen und Organisationen durchforsten, da Arbeitsabläufe auf Effizienz überprüfen, dort die Strukturen der medizinischen Versorgung auf ihre zeitgemäße Tauglichkeit hinterfragen: an Aufgaben für Unternehmensberater mangelt es nicht. Auch wenn Letztere heute kaum noch so heißen, sondern fast ausschließlich als Consultants daherkommen. Wo es an Aufgaben und damit Nachfrage nicht mangelt, gedeiht unausweichlich das Angebot. Und die Nothelfer und Heilsbringer finden ein wahrlich ergiebiges Terrain. Dies lässt sich bei den großen Consultingunternehmen nicht zuletzt an der Suche nach neuen Mitarbeitern ablesen.

So heißt es auf der
Internetseite der Firma Roland Berger Strategy Consultants, auf der es um Beratung im Gesundheitswesen geht: „Um die Chancen im Gesundheitswesen zu nutzen (also die Chancen der Beratungsfirma, d. Aut.), haben wir ein interdisziplinäres Team zusammengestellt. … Unsere Innovationsführerschaft im Healthcare-Bereich wollen wir ausbauen und langfristig sichern. Um die Brücke zwischen betriebswirtschaftlicher und medizinischer Sichtweise weiterhin erfolgreich zu schlagen, suchen wir neue Kollegen.“

Nicht weniger animiert von den sich auf diesem Gebiet eröffnenden Möglichkeiten ist die
Konkurrenz. Kienbaum Consultants International: „Die Health-Care-Branche ist weltweit ein Zukunftsmarkt mit einem enormen Wachstumspotenzial. Durch das gleichzeitige Wachstum der Weltbevölkerung und der weltweiten Ansprüche an Gesundheitsleistungen eröffnen sich für Anbieter innovativer Dienstleistungen und Produkte neue Märkte und Chancen.“

Als ebenso viel versprechend werden die Zukunftspotenziale des Web 2.0 gehandelt. Dazu stellte kürzlich die Strategie- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton eine internationale
Studie des Nutzerverhaltens von Web 2.0 vor, die prognostiziert, „dass die weiter steigende Akzeptanz und Nutzung von Web 2.0-Diensten ein wichtiger Treiber der kontinuierlichen Verschiebung von Offline- zu Onlineaktivitäten und eines weiterhin starken Wachstums der Internetökonomie ist“.

Drei mehr oder minder beliebige Indizien aus einer riesigen Fülle weiterer, die belegen, dass das Consultinggeschäft floriert, und zwar so sehr, dass nur noch schwer zu unterscheiden ist, wer wem mehr hilft, wessen Entwicklung mehr befördert wird, die der Heilsempfänger oder die der Heilsbringer.

Aber wie das auf fruchtbarem Boden so ist, da floriert nicht nur Nützliches, da wuchert auch Unkraut – sprießt Mittelmaß und Minderwert. Dass da unter den externen Heilsbringern, selbst in renommierten Firmen, so manche Intention keimt, die nicht nur auch, sondern vor allem das eigene Unternehmen in gleißende Gewinnzonen wachsen lassen möchte, versteht sich fast schon von selbst. Geahnt hatten wir es ohnehin schon lange. Dass das aber tatsächlich so ist, wissen wir spätestens, seit vor rund zehn Jahren Jörg Stautes „Consulting-Report“(1) erschien, in dem der Ex-Consultant einer renommierten Beratungsfirma aus dem Nähkörbchen plauderte. Da ist viel heiße Luft im System.

Geändert hat sich bis heute offensichtlich nicht viel. Das belegen in der Praxis die vielen in den letzten Jahren beratenen oder von Ex-Consultants gegründeten und dennoch Pleite gegangenen Firmen. Wobei das Schicksal keineswegs nur ungezählte unbekannte, einst hoffnungsfroh gestartete Kleinunternehmen traf, sondern eben auch große, spektakuläre Fälle wie Herlitz, Holzmann, Babcock, Swissair, Enron und – Fortsetzung fast beliebig. In der Theorie zeigten es diverse Publikationen, die auf den Consulting-Report folgten und die immer wieder Schwachstellen aufdeckten und vor falschen Erwartungen warnten. So etwa 2003 Rainer Steppans „Versager im Dreiteiler“(2) oder im vergangenen Jahr „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing’“(3) von Winfried Abele und Stefan Scheurer.

Doch noch immer werden Consulting-Leistungen von hilflos-rigorosen Managern auch und gerade als Camouflageinstrument eigener Unfähigkeit benutzt. Und die Kernaussage von Staute besitzt offensichtlich nach wie vor Gültigkeit: „Die Branche boomt, da bleibt keine Zeit zum Nachdenken, da wird viel bewegt, aber nichts verbessert.“

Da das Ergebnis einer Unternehmensdurchleuchtung grundsätzlich – und korrekterweise – nur dem jeweiligen Auftraggeber zur Kenntnis gebracht wird, lässt sich der Inhalt durchaus so gefiltert und portionsweise veröffentlichen, dass damit gezielte Grausamkeiten – quasi amtlich beglaubigt – durchgesetzt werden können. In Wahrheit wurden und werden oft genug gleich von Anbeginn der Zeremonie an bestimmte „Zielkorridore“ vorgegeben, in denen sich das Ergebnis zu bewegen hat. Allzu oft werden strategische Ausrichtungen gefordert, die in dem jeweiligen Betrieb auch ohne Beratung erkannt worden sind und selbst gemacht werden könnten, die aber unpopulär und deshalb für die Geschäftsführung unangenehm sind. Die Unannehmlichkeiten lassen sich abfedern, wenn sich eine Geschäftsführung auf renommierte Profis berufen kann und sich dann womöglich noch „entgegen dem dringenden Rat der Berater“ als Retter der Belegschaft in Szene setzen kann, weil sie nur 200 Stellen abbaut statt der von den Unternehmensberatern (angeblich) geforderten 800 Arbeitsplätze. Camouflage eben. In den meisten, zumindest in den großen Unternehmen gibt es jedenfalls genügend den Beratern ebenbürtige Köpfe, die dem Consultingteam schon rechtzeitig sagen, worauf es ankommt.

Ebenfalls noch immer werden aufwändige und kostenintensive Studien erstellt, deren auf den ersten Blick revolutionär anmutende Rationalisierungsmaßnahmen und spektakulären Einsparpotenziale bei näherem Hinschauen Makulatur sind, weil sie von falschen Voraussetzungen und groben Fehleinschätzungen ausgehen. So legte Anfang Januar 2007 die Unternehmensberatung Kienbaum der Stadt Köln im Rahmen eines Gutachtens eine Streichliste vor, die ein Einsparpotential von insgesamt 90 Millionen Euro umfasste. Leider sind darin auch viele nicht vertretbare, d.h. nicht realisierbare Kürzungen im sozialen Bereich enthalten, beispielsweise bei der Betreuung behinderter Kinder, so dass viele Vorschläge unbrauchbar, weil nicht umsetzbar, sind. Dabei sollte sich doch eigentlich herumgesprochen haben, dass eine Kommune, also ein soziales Gemeinwesen, mit betriebswirtschaftlichen Kriterien allein nicht ethisch vertretbar zu gestalten ist.

Anders als bei wirtschaftlichen Großimperien mit dem beschriebenen Hang zu kooperativen Ergebnissen ist bei mittelständischen und Kleinunternehmen, wozu auch studentische Start-Ups oder Arztpraxen gehören, eher die Gefahr gegeben, seitens der Berater ebenso überheblich wie kostenintensiv mit Allgemeinplätzen und gut, d.h. notabene englisch, verbrämten Binsenweisheiten abgespeist zu werden, mit Standardwissen, das in jedem betriebswirtschaftlichen Ratgeberbuch zu finden ist und logischerweise auch auf die meisten Betriebe zutrifft. Dies ist zwar nicht schädlich, aber eben nicht die hohe Beratungsgebühr wert, weil es nicht individuell zugeschnitten und direkt umsetzbar ist. Für solche Tipps sollten dann auch wirklich nicht mehr als 49,90 Euro für ein entsprechendes Buch hingeblättert werden.

Coaching für das Unternehmen Ich: Was juristischen Personen recht ist, ist natürlichen längst billig. Das Consulting der einen ist das Coaching der anderen. Wobei die Grenzen zwischen Consulting, Coaching, Mentoring und Psychotherapie fließend, um nicht zu sagen verwaschen sind. Sowohl Angebot als auch Ausbildungsprofile der Coaches sind noch um einiges unübersichtlicher als die der Unternehmensberater.

So gibt es mindestens sechs verschiedene deutschsprachige Verbände, als deren einflussreichster vielfach der
DBVC - Deutscher Bundesverband Coaching e.V. angesehen wird, dazu kommen noch etliche lockere Kooperationen und diverse Datenbankangebote. Viele sowohl abgeschlossene als auch abgebrochene Psychologie- und Pädagogikstudien sind bei den Mitgliedern auszumachen, aber auch zahlreiche Medien- und PR-Leute und solche aus gänzlich anderen Richtungen drängen ins Coachinggeschäft. Es gibt theoretisch niemanden, der nicht Coach werden könnte. Denn es gibt weder allgemein verbindlich definierte Ausbildungs- oder Qualifikationsvorgaben noch überhaupt eine allgemein konsensfähige Definition des Berufes.

Das Wort Coach bedeutet im Englischen Kutsche, und eine Kutsche ist ein Transportmittel, das etwas von A nach B befördern soll. Zielstation ist der Erfolg, der oder des Gecoachten – und der des Coaches. Immer und überall, im Leben, im Beruf. Für Politikerinnen und Politiker beispielsweise in Talkshows. Dort stellt sich besonders die Frage: Welchen Einfluss hat das nonverbale Management auf den politischen Erfolg? Einen großen, sagt Werner
Dieball, Politikwissenschaftler und Coach aus Köln, etwa 55 Prozent der Überzeugungsarbeit werden von der Körpersprache geleistet, rund 38 Prozent von der Sprachmodulation und nur etwa sieben Prozent vom Inhalt der Aussage. Also Mundwinkel hoch und Stimme runter, denn Piepsiges beeinträchtigt die Kompetenzzuschreibung. Und bloß nicht ungezielt mit den Armen fuchteln, das signalisiert Unsicherheit, gar Hilflosigkeit im Mentalen.

Charisma ist gefragt. Ob sich dieses, wohl verstanden, mittels Coaching erwerben lässt, sei zweifelnd dahingestellt. Ganz sicher aber lassen sich Elemente charismatischen Auftretens antrainieren, offener Blickkontakt, modulierte Stimme, fester Händedruck, gezielte Gestik, die richtige Sitzposition, das ganze Programm eines VHS-Kurses „Wie stelle ich mich richtig vor“ eben.

Und der Beratungsbedarf macht keineswegs bei den Prominenten Halt, er übergeht mittlerweile niemanden mehr. Topmanagementorientierter Nadelstreifenträger, softskillstarke PR-Managerin, kreativer Dreitagebart, lifegestylte Hundesalonführerin, Sportler, Unternehmer, Berufseinsteiger, Studenten, Schüler, Gehetzte, Frustrierte und Unzufriedene, immer jeweils beiderlei Geschlechts, und Frauen darüber hinaus noch sowieso, sozusagen in ihrer bloßen Eigenschaft als Frau, da sie immer und überall zu wenig aus sich machen: Sie alle brauchen sich ungecoacht im globalisierten Tagesgeschehen kaum noch blicken zu lassen. Und es gibt nichts, was nicht gecoacht wird oder werden kann, und keine Methode, die nicht zum Einsatz käme. Die Bandbreite reicht von spirituellen, psychologischen, esoterischen, gestalterischen und darstellerischen Ansätzen bis hin zu betriebswirtschaftlichen, rhetorischen und reinen PR-Maßnahmen. Die meisten Coaches stellen aus den verschiedenen Ingredienzien ihre jeweils individuelle Mischung zusammen, die dann den positiven Durchbruch garantieren soll.

Dabei wird auf Nischen geachtet und kein Revier ausgelassen. So nahm sich vor nicht allzu langer Zeit das Weightwatcher-Magazin der Übergewichtigen an, indem es nicht nur Tipps anbot, wie sie ihre Kilos loswerden, sondern gleichzeitig auch noch ihre Karriere befördern können, und empfahl eine Kommunikationswissenschaftlerin als tatkräftige „Karrierekomponistin“. Und die gab ihrerseits in ihrem Newsletter gleich ein wenig erfolgsfördernden Raum an andere ab, etwa an ein aufstrebendes Telefonmarketingunternehmen. Motto: Warum immer mehr Unternehmen auf Telefonmarketing setzen? Weil das richtige und vor allem auch effektive Telefonieren entsprechendes Know-how erfordert. Aha.

Es kommt halt, wie fast immer im Leben, vor allem auf die richtige Herangehensweise an – und den richtigen Psychokick. Immerhin beginnt nicht nur das Abnehmen, sondern fast aller Erfolg im Kopf, mit einer zündenden Idee und der darauf basierenden Motivation. Und manche Leute sind da beeindruckend phantasiebegabt, wenn es gilt, unterschwellige Empfindungen anderer für sich in klingende Münze zu verwandeln. Etwa durch durch "ganzheitliches
PR-Coaching", das zum "Handschlag"  von Cyberspace und Traum-Raum führen will, um inneres Wissen mit äußerer Reichweite zu verbinden. Traumimpulse als schöpferisches Potenzial zur erfolgreichen Beherrschung des Web 2.0. Also  Traumtänzerei? So ähnlich - nur denglisch verbrämt, damit es nicht jede/r gleich merkt: DreamGuidance. Wohl nur für Leute, die das ganze Web 2.0 ohnehin für einen Traum halten.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es ist durchaus klug und kann sehr hilf- und aufschlussreich sein, den Rat von Experten zu suchen, wenn es nicht so läuft, wie es soll. Manchmal jedenfalls. Alberne und/oder hochtrabende Versprechen allerdings sollten mehr als skeptisch stimmen.

 

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(1) Jörg Staute: „Der Consulting-Report. Vom Versagen der Manager zum Reibach der Berater“, Campus Verlag, 2. Aufl. 1996, ISBN-10: 359335540X

(2) Rainer Steppan: „Versager im Dreiteiler — Wie Unternehmensberater die Wirtschaft ruinieren“, Eichborn-Verlag, 2003, ISBN 3-8218-3998-8

(3) Winfried Abele, Stefan Scheurer, „Wes’ Brot ich ess', des Lied ich sing’ — Managementberatung - Kunst, Handwerk oder Geschäft mit der Angst“, Orell Füssli Verlag, 2006, ISBN 3-280-05200-9
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© Christa Tamara Kaul