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Bier und Beischlaf  -  oder:


Die Enthüllungsschelte des Rolf Hochhuth


Von Christa Tamara Kaul       -      Juli  2007

 

 

Da wetterte der Dramatiker und sich als der große Aufklärer verstehende Rolf Hochhuth Mitte Juli 2007 in einem als Interview geplanten Fernsehauftritt, dass die verbalen Fetzen nur so flogen. Und zwar über Denunzianten und junge, ohne Gewissensprüfung aufgewachsene Besserwisser. Sein nicht zu bremsender Wortsturz, der keineswegs eine Suada war, galt der Verteidigung einiger Kultur- und Politikgrößen, deren ehemalige NSDAP-Mitgliedschaft kürzlich bekannt gemacht wurde. Etwa Martin Walser, Siegfried Lenz, Niklas Luhmann und Dieter Hildebrandt oder Erhard Eppler, Horst Ehmke und Hermann Lübbe. Das Peinliche daran: Es klang wie der verbiesterte Abgesang eines Mannes, der vor allem sich selbst und seine Deutungshoheit nicht mehr im Zentrum des Interesses sieht.

Es reicht, haben viele schon lange gesagt und sind dafür übel beschimpft worden. Denn sie hatten damit gemeint, dass die bei jeder unpassenden Gelegenheit gebetsmühlenartig wiederholten Vorwürfe des Mitläufertums in den Zeiten des Nationalsozialismus und die damit verbundenen unterschwelligen Verdächtigungen – nicht das historische Erinnern an Verbrechen und die Weitergabe der Erinnerung! – so langsam ein Ende haben sollten. Was nicht heißt, dass damit die Tatsache oder das Ausmaß der geschehenen Verbrechen abgestritten oder minimiert werden sollte, sondern, wie Martin Walser in seiner viel geschmähten Rede in der Frankfurter Paulskirche zu Recht kritisierte, dass die Vorwürfe für fast jede Art von Zwecken instrumentalisiert und missbraucht wurden und immer noch werden. Der Hinweis auf irgendwelche nationalsozialistischen Bezüge, berechtigt oder nicht, entwickelte sich bekanntlich zum Totschlagargument. Das jüngste Paradebeispiel dafür lieferte Jaroslaw Kaczynski auf dem Brüsseler EU-Gipfel im Juni, als er das politische Gewicht seines Landes innerhalb der Europäischen Union mithilfe der Kriegstoten hochzujubeln versuchte, als sonst gar nichts mehr seine Großmannsphantastereien stützen wollte.

Nun allerdings hat sich einer in den Kontext des „Es reicht“ eingereiht, dem keine Empörungswelle entgegenschlägt, wohl weil er sich ehedem mit seinem historisch umstrittenen „Stellvertreter“ als wortgewaltiger Klerus- und Nazi-Ankläger unüberseh- und -hörbar in Szene gesetzt hat: Rolf Hochhuth. In einer
Standpauke sondergleichen verteidigte er am 16.Juli 2007 in der „Kulturzeit“ bei 3sat eben jene jüngst „enttarnten“ Leute wie Lenz, Hildebrandt, Walser, Ehmke, Eppler und Co. Denn es sei lächerlich, ihnen die Jugendsünde einer Parteimitgliedschaft, von der sie möglicherweise noch nicht einmal etwas gewusst haben, heute noch vorzuwerfen. Dass er dabei zunächst, weil ihm als Interviewpartnerin vis-à-vis, die Moderatorin Tina Hildebrandt verbal fast abschoss, hatte eher unterhaltenden Charakter. Der schmetterte er nämlich bei ihren Fragen, die wie so oft kenntnisarm, aber mit investigativ geschürztem Schnütchen vorgetragen wurden, entgegen, dass sie und die anderen jungen Leute, „die heute in den Akten wühlen", zu einer Generation gehöre, "die ein so fabelhaft reines, weil niemals benutztes Gewissen“ habe.
 

Frontflugspange für Aufklärer


„Natürlich ist es albern, gemein und unangemessen, Männern, die das Rentenalter längst erreicht haben, Fehler und Sünden vorzuwerfen, die vor über 60 Jahren passiert sind, unabhängig davon, ob sie der NSDAP beigetreten wurden oder selbst um Aufnahme gebeten haben. Es ist, als würde man Moraltheologen vorhalten, dass sie als Ministranten onaniert und später nie darüber geredet haben“, kommentierte das
Henryk M. Broder bei Spiegel Online zwei Tage später das Geschehen und erklärte: „Die Enthüller sprechen von einem dunklen Kapitel der deutschen Vergangenheit, das jetzt ausgeleuchtet werde, die Betroffenen von Kampagne, Rufmord und Denunziation. Und wie immer in solchen Fällen liegt die Wahrheit im Auge des Betrachters.“

Dem ist nicht zu widersprechen, nur da, im Auge des Betrachters, liegt jene Wahrheit offenbar bei manchen so quer, dass sie zum sprichwörtlichen Balken wird. Jahrzehntelang wurden die vielen unbekannten Parteimitglieder, die kleinen PGs, die nichts anderes taten als die jetzt Verteidigten, als rückgratlose Mitläufer und bestenfalls feige Leisetreter beschimpft, die in ihrer Gesamtheit letztlich für die Katastrophe verantwortlich gewesen seien. Gegen diese Anschuldigungen nahm kaum jemand die Betroffenen in Schutz, jedenfalls keiner von der Prominenz eines Rolf Hochhuth. Hat der Schriftsteller – mal wieder – seinen Standort gewechselt? Oder mischen sich hier nicht nur moralische Kategorien mit historisch unklaren Fakten, sondern auch noch politische Standortgefechte mit Standesunterschieden? Hie die Kulturgrößen, vornehmlich der linken Szenerie, da die Ottos und Annas Jedermann?

So kann es zwar scheinen und mag bisweilen auch so sein. Doch letztlich ist es Hochhuth gar nicht darum zu tun, wie sich in ein, zwei zarten, fast nebenbei gesagten Sätzen offenbarte, den Schlüsselsätzen, die den Furor erklären: "Man hat uns satt, wir waren zu lange da!" Und: „Wir hatten … die durchschlagenderen Erfolge.“ Sic! Das klingt dann doch – leider – eher danach, dass hier einer sich und sein Werk nicht mehr so im Mittelpunkt findet, wie er es beansprucht. Die Enkel scheren sich nicht mehr um seine Deutungshoheit der Geschichte, seinen Ruhm als „schonungslosem „Aufdecker“ und auch kaum noch um die Verdienste der anderen Geistesgrößen. Und wenn die Alten nicht endlich von allein abtreten, dann bekommen sie eben ein paar Unannehmlichkeiten ins Gesicht geknallt.

In zwei Punkten allerdings muss Hochhuth uneingeschränkt Recht gegeben werden, nämlich dass der „Führer“ mehrheitlich so populär war wie „Bier und Beischlaf“. Was immer noch nicht zugegeben werden darf. Und dass die jetzigen „Enthüllungen“ bestenfalls übertünchen, dass einige wirkliche Probleme nicht angepackt werden.

 

 

© Christa Tamara Kaul