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Glaube und Identität

 

Der Weg, die Wahrheit und das Leben
 

von Christa Tamara Kaul    -    September 2018
 

 

Identität – wohl jedem Menschen ist eine zu eigen. Aber sie zu definieren, ist alles andere als einfach. Der von vielen Seiten heillos übertriebene Wirbel um das Scheitern der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM 2018 zeigte einmal mehr, wie schwierig es mit der nationalen Identität sein kann. Und wie ist es um eine christliche Identität bestellt?

Hallo, ich bin’s! Das hat wohl fast jede und jeder schon irgendwann einmal gesagt. Doch was heißt das eigentlich? Wer oder was ist dieses Ich? Ein Mensch, o.k. – so weit, so klar. Mann oder Frau, meistens auch das klar, aber manchmal eben auch nicht. Hier kann es bereits schwierig werden. Und noch komplizierter, weil komplexer wird es bei allem, was darüber hinausgeht. Beispielweise eben bei der nationalen Identität. Wer ist deutsch, gibt es eine deutsche Leitkultur, wenn ja, was macht sie aus? Wie wirkt sich die Geschichte auf sie aus? Oder zählt nur das Grundgesetz mit seinen Werten und Vorgaben? Und – was hat Identität mit Heimat zu tun? Allein schon diese Fragen demonstrieren eines: Die absolut ultimative und ewig gültige Definition kann und wird es nicht geben.

Philologisch betrachtet bedeutet Identität – hergeleitet vom lateinischen Wort īdem = derselbe, dasselbe – die Gesamtheit aller Eigenheiten und Merkmale eines Individuums oder einer Gemeinschaft, die sie von anderen unterscheidet. Evolutionsgeschichtlich wird heute davon ausgegangen, dass das Empfinden von Identität aus ursprünglichen Instinkten des Schutzbedürfnisses hervorgegangen ist, die durch das Gefühl der Gemeinsamkeit und des Zusammengehörens befriedigt wurden. Die Prägung eines Selbstbildes ermöglichte Orientierung und erleichterte es, dieser Orientierung auch zu folgen – zunächst in Sippen, Clans und Stämmen, später in Städten und Nationalstaaten – und eben auch in Religionen. Diese kollektive Orientierung spielt im politisch-gesellschaftlichen Bereich eine wesentliche Rolle bei der Bewältigung von Krisen. Und auf religiöser Ebene? Wie kann christliche Identität heute in einer multireligiösen Welt aussehen?

Wir sind Kinder und Ebenbilder Gottes. Diese Definition scheint für Christinnen und Christen so naheliegend wie umfassend zu sein: Allerdings – sie gilt für alle Menschen, nicht nur für Christen. Auch wenn die Aussage wenig konkret ist, so ist sie doch insofern bedeutsam, dass dadurch der Umgang mit nationalen Unterschieden für Christen selbstverständlich sein und sie vor ausgrenzender Identität bewahren sollte. Es gehört zur Struktur des Christentums, gerade nicht ohne die jeweils Anderen sein zu können und das oberste Gebot der Nächstenliebe, des Einsatzes für andere, jeweils dort zu leben, wo „Gott uns in unserem Alltag hingestellt hat“.
 

 


 

Aktive Jesusnachfolge, Demut und Freude sind für Papst Franziskus die wesentlichen Aspekte, die die christliche Identität charakterisieren. Entscheidendes Merkmal ist für ihn, aktives „Zeugnis“ abzulegen und nicht nur die „schönen Ideen“ des Christentums zu loben. Gehen, und zwar gehen über die Schwierigkeiten hinaus, sei ein Wesensmerkmal christlicher Identität. „Man kann nicht an einen Christen denken, der stehen bleibt: ein Christ, der stehen bleibt, ist in seiner christlichen Identität krank... Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet allen das Evangelium.“ Dies allerdings in aller Demut (Lk 10,3). Denn der Christ sei ein Lamm, und müsse die Demut als Wesensmerkmal unbedingt bewahren. Demut, die zunehmend aus der Mode gekommen ist, sei allerdings nicht mit Dummheit zu verwechseln und bedeute keineswegs Wehrlosigkeit. Ein Lamm zu sein, heiße zwar demütig, aber nicht dämlich sein: „Denken wir an David, als er gegen die Philister kämpfen musste: sie wollten ihm die Rüstung Sauls anlegen, und er konnte sich (darin) nicht bewegen“. Auf diese Weise sei er nicht er selbst und nicht demütig gewesen. Doch mit seiner eigenen bescheidenen Waffe, der Steinschleuder, habe er am Schluss den Kampf gewonnen. Und wie die Demut gehöre auch die Freude unabdingbar zum Christlichen. Christen sollten Menschen sein, „die voller Freude den Herrn kennen und den Herrn bringen“. Jene aber, „deren Tempo ein ‚Adagio lamentoso’ ist, die immer … über alles klagen, ganz traurig sind… sie tun weder dem Herrn noch der Kirche einen Gefallen.“ Aber auch die Sünde sei Teil unserer Identität: „Wir sind Sünder, doch Sünder mit dem Glauben an Jesus Christus“ und damit durch ihn in einer „Identität, die uns von Gott geschenkt worden“ sei.

Dass dieser Glaube der Prüfung durch die Vernunft standhält, war seinem Vorgänger, Papst Benedikt XVI. alias Josef Ratzinger, besonders wichtig. Denn der Verbindung von Glauben und Vernunft, diesen scheinbar so Widersprüchlichen, kommt gerade in unserer säkularisierten Zeit – zumindest in Europa – eine hohe Bedeutung zu. In einer 2008 veröffentlichten Rede äußerte Ratzinger sich zu den vernunftbasierten Fragestellungen der ersten, von altgriechischem Denken beeinflussten Christen so: „Sie brauchten ... das sokratische Fragen nicht aufzulösen oder beiseite zu schieben, sondern durften, ja mussten es aufnehmen und das Ringen der Vernunft um Erkenntnis der ganzen Wahrheit als Teil ihrer eigenen Identität erkennen.” Einen Anstoß dazu hatte Paulus bereits in seinem 1. Brief an die Thessalonicher gegeben: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ (5,12-22) „Die Vernunft an sich“, so Ratzinger, „ist offen für die Transzendenz… Die große Herausforderung dieser (unserer) Zeit ist, dass sich die beiden (Säkularismus und Glaube) begegnen und so ihre wahre Identität finden.“ Nicht Unterwerfung, sondern das selbständige Denken gehört also – nicht nur für Josef Ratzinger – ebenso zur christlichen Identität wie Demut und Aktivität. Das bedeutet auch, Fragwürdigkeiten genau zu benennen.

Bekanntlich führt ungenaue Sprache zu ungenauem Denken. Sowohl im Glauben als auch im Selbstverständnis der Institution Kirche tauchen berechtigterweise immer wieder neue Fragestellungen auf. So wies kürzlich der Jesuit Stefan Kiechle in den Stimmen der Zeit darauf hin, dass gerade gegenwärtig in der Kirche zwei Richtungen einander gegenüber stehen: „Die eine sieht die Kirche nach wie vor als Gesellschaft (societas), die zwar nicht ganz so perfekt ist, wie ursprünglich gedacht, aber doch vor allem ein Rechtsverband bleibt, mit klaren Regeln und einer ehrwürdigen, gottgegebenen Ordnung (ordo). Geleitet wird die Kirche vom Papst und seiner Kurie, die die Weltkirche fleißig und gewissenhaft nach Recht und Ordnung verwaltet. Diese Kirche ist Erbin des römischen Reiches: Sie hat dessen Rechtsdenken übernommen und in chaotischen Zeiten bewahrt; der Sinn für die Rechtsordnung half der Kirche, 2000 Jahre lang durch alle Brüche der Geschichte und der Kulturen hindurch fortzubestehen. ... Die andere Richtung sieht die Kirche als Volk, das aus der Liebe und Barmherzigkeit Gottes lebt und diese an alle Menschen und Völker vermittelt. Die Kirche gibt den – spirituell und materiell – Armen und den Opfern von Gewalt und Unrecht, was sie zum Leben brauchen. Klare Identitäten oder Ab- und Ausgrenzungen sind weniger wichtig. Die soziale Praxis ist wichtiger als die Individualmoral und wird öffentlich, auch politisch, eingeklagt.“ Papst Franziskus findet sich eher im zweiten Kirchenbild. Auch wenn der Gegensatz beider Richtungen nicht absolut und eindeutig ist, so wurde dem Papst doch schon der Vorwurf der Häresie gemacht.

Immer wieder erweisen sich Ansichten als fragwürdig. Also: würdig des Nachfragens. Das wird wohl so bleiben, und das ist auch gut so, denn es hilft bei der – ständigen – eigenen Selbstvergewisserung. Wer bin ich? Wie will ich sein? Was glaube ich? Die grundsätzliche Wegweisung kommt immer noch von einem, der diese Probleme ganz offensichtlich nicht hatte: Jesus war sich seiner Identität absolut sicher: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben." (Joh.14,6) Mehr Selbstgewissheit geht nicht. Versuchen wir es halt immer wieder auf diesem Weg!


Links zum Thema

Häresievorwurf
https://tinyurl.com/yb96jab9 

Papst Franziskus zur christlichen Identität
http://www.kath.net/news/50873 

Untersuchung zur "Kasualienfrömmigkeit"
https://tinyurl.com/y7d83j5k 

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst im ökumenischen Magazin IM TEAM Nr. 36

 

© Christa Tamara Kaul