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Islamisches Recht und Menschenrechte  

 

 

Praktische Auswirkungen der Scharia auf die Gestaltung der Rechtsordnung am Beispiel des Irans

 

 

Von Dr. Nadjma Yassari  -  2003

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg

 

 

Einleitung  

Der Beginn der modernen Privatrechtsgeschichte des Irans ist Mitte der 20er Jahren des letzten Jahrhunderts anzusetzen, mit der Kodifikation eines iranischen Zivilgesetzbuches (ZGB) in den Jahren 1928 und 1935. Der iranische Gesetzgeber hat keine in allen Rechtsbereichen einheitliche Rechtsordnung geschaffen, denn das Familien- und Erbrecht ist interreligiös gespalten. Das bedeutet, dass die Angehörigen der offiziell anerkannten Religionsgemeinschaften ihren eigenen familien- und erb- rechtlichen Regelungen unterworfen sind.

 

Ist also etwa ein armenisch-orthodoxer Iraner verstorben, so findet das armenische Erbrecht auf die Verteilung des Nachlasses Anwendung, und nicht die allgemeinen im ZGB kodifizierten Regelungen zum Erbrecht, die nur für schiitische Muslime gelten. Diese Sonderrechte beruhen auf der Idee der Schutzbedürftigkeit der Angehörigen der Buchreligionen (Christen, Juden und Zoroaster). Indem ihnen ihr eigenes Recht zuerkannt wird, wird ihnen damit Religionsfreiheit gewährt, denn das Familienrecht wird als integraler Teil der Religion verstanden.

 

Das islamisch-iranische Familienrecht

Das Familienrecht im iranischen ZGB beruht auf den islamischen Vorschriften der schiitischen Rechtsschule. Insofern gibt es Unterschiede zu den Familienrechten an- derer islamischer Staaten, die in der Mehrzahl sunnitisches Recht im Bereich des Familienrechts kodifiziert haben. Es findet ausschließlich auf die schiitischen Iraner und jene Religionsgemeinschaften, die nicht offiziell anerkannt sind, insbesondere auf die Baha'i Anwendung.

 

Dem iranischen Familienrecht liegt wie gesagt das System des islamisch-schiitischen Familienrechts zugrunde: Es unterliegt der Idee einer Rollenverteilung, die ein Gleichgewicht der Rechten und Pflichten der jeweiligen Parteien herstellen soll. Dies führt zu unterschiedlichen Rechten und Pflichten bei den Beteiligten eines Familienverhältnisses, und es spiegelt eine gesellschaftliche Werteordnung wieder, in der der Ehemann bzw. der Vater der pater familias mit allen Rechten und Pflichten insbesondere im Außenverhältnis ist und die Ehefrau vor allem in ihrer Stellung als Mutter insbesondere im Innenverhältnis wirken soll.

 

Interreligiöse Ehen

Gemäß Art. 1059 des iranischen Zivilgesetzbuches ist die Ehe zwischen einer muslimischen Frau und einem Nichtmoslem verboten. Über die Gültigkeit einer Ehe zwischen einem Moslem und einer nicht-muslimischen Frau schweigt das Gesetz jedoch. Grundsätzlich bejaht die schiitische Lehre die Gültigkeit einer Ehe zwischen einem Moslem und einer Frau der Buchreligionen (also Christinen, Jüdinnen und Zoroasterinnen). Über die Ausgestaltung solcher Ehen herrscht jedoch Uneinigkeit, insbesondere in Bezug auf die Art der Ehe, d.h. ob es sich dabei um eine Dauerehe oder einer so genannten Zeitehe handelt. Die Zeitehe ist eine Besonderheit des schiitischen Rechts. Sie begründet ein eheliches Verhältnis, das jedoch von Anfang an zeitlich begrenzt ist und mit Zeitablauf ohne weitere Formalität endet. Während eine Mindermeinung die interreligiöse Ehe zwischen Muslimen und nichtmuslimischen Frauen als Dauerehe gelten lässt, deutet die herrschende Lehre eine solche Ehe als zeitlich befristet Ehe oder Zeitehe um, wobei die Dauer dann auf 99 Jahre festgelegt wird.

 

Das Sorgerecht von Nichtmuslimen für muslimische Kinder

Das Sorgerecht über ein iranisches moslemisches Kind können nur moslemische Sorgerechtsberechtigte ausüben (Art. 1192 ZGB). Diese Regelung findet sich auch insb. im Adoptionsrecht. Danach können nicht-moslemische Paare keine moslemischen Kinder adoptieren.

 

Zugang zu Beruf und öffentlichen Ämter

Religiöse Minderheiten sind von manchen öffentlichen Regierungsämtern ausgeschlossen. Lediglich im Parlament findet man Repräsentanten der religiösen Minderheiten. Der Zugang zu öffentlichen Ämtern und insb. dem Richteramt kann außerdem vom Geschlecht abhängig. Diese Einschränkungen werden derzeit in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert. Namhafte Geistliche setzen sich sowohl für einen weiblichen Präsidenten als auch für Richterinnen ein. Frauen sind im Iran erst in den späten 70er Jahren zum Richteramt zugelassen worden sind. So ist die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi eine der 29 Frauen gewesen, die bei Ausbruch der Revolution zum Richteramt zugelassen war. In der islamischen Republik wurden den Richterinnen alternativ Posten in der Justizverwaltung angeboten. Seit 1992 können nun weibliche Beisitzerinnen herangezogen werden, allerdings nur bei den Familiengerichten, so dass heute etwa 30% der Richter am Familiengericht eine weibliche Beisitzerin haben. Diese trägt zwar offiziell nicht den Namen eines "Richters", verrichtet aber inhaltlich die gleiche Arbeit wie der männliche Vorsitzende. Sie ist außerdem nicht allein zeichnungsbefugt zu sein.

 

Bedürfen die Handlungen von Frauen der Einverständniserklärung ihres

Mannes oder eines männlichen Verwandten? Für welche Handlungen gilt

dies?

Hier muss man unterscheiden. Jede Frau benötigt für ihre erste Eheschließung die Einwilligung ihres Vaters (oder ihres Vormundes). Weigert sich der Vater die Einwilligung zu geben, so kann sie gerichtlich erwirkt werden. Nach der Eheschließung hat der Ehemann gewisse Hoheitsrechte über seine Ehefrau, sofern sie sich diese nicht ehevertraglich überschreiben lässt. Dies gilt etwa für die Bestimmung des Wohnsitzes, die Erlaubnis das Land zu verlassen oder eine Erwerbstätigkeit ihrer Wahl auszuüben. Auf der anderen Seite ist es bei Klage auf Herausgabe der Brautgabe nun mehr möglich, den Ehemann mit einem Ausreiseverbot zu belegen, so dass er das Land nicht ohne Erlaubnis der Ehefrau verlassen darf. Auch mit der Möglichkeit einer Haftstrafe muss ein Ehemann, der sich weigert seiner Ehefrau den Unterhalt zu zahlen, rechnen. Statischen Angaben zufolgen, waren im August 2003 1200 Ehemänner aus diesem Grund in Teheran inhaftiert.

 

Eine Frau ist zu jeder Zeit alleinige Eigentümerin ihres Vermögens und kann darüber frei verfügen. Frauen können unter den gleichen Umständen wie Männer Eigentum erwerben. Eine geschiedene Frau genießt in rechtlicher Hinsicht die meisten Freiheiten: sie hat keinen Vormund mehr und ist in jeder Hinsicht einem Mann gleichgestellt.

 

Formen des Zusammenlebens

Der Staat versucht alle Formen des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau die nicht in dem rechtlichen Rahmen der Ehe fallen auszuschalten. Das Gesetz sieht dementsprechend auch keine Alternative zur Ehe vor.

 

Unterschiedliche Rechte von Männern und Frauen: im Hinblick auf die Möglichkeit der Scheidung, Sorgerecht und Unterhaltsrecht.

 

Die Ehe ist ein zivilrechtlicher Vertrag, der durch die Willenseinigung der Verlobten zustanden kommt und ein Verhältnis begründet, bei dem Mann und Frau einander zu gutem Betragen verpflichtet sind und sich bei der Festigung der Grundlagen der Familie und bei der Erziehung der Kinder unterstützen müssen. Dabei unterscheidet das ZGB unterschiedliche Rollen für Mann und Frau und d.h. auch unterschiedliche Rechte und Pflichten bei Ehemann und Ehefrau.

 

Die Rechte und Pflichten des Ehemannes

Die Unterhaltspflicht obliegt alleine dem Ehemann: Dies beinhaltet die Wohnung, die Wohnungsausstattung, die Bekleidung, die Ernährung, benötigte Medikamente usw. Der Anspruch der Ehefrau auf Unterhalt ist unabhängig von ihrer Bedürftigkeit oder von der Tatsache, dass sie von dritter Seite Zuwendungen erhält. Der Anspruch orientiert sich an der gesellschaftlichen Stellung der Frau. Zum Anspruch kann auch: die Bereitstellung von Dienstpersonal gehören, sofern die Ehefrau auch im Hause ihres Vaters über Personal verfügte, oder wenn sie aufgrund von Krankheit oder Schwäche einer Hilfe bedarf. Diese vermögensrechtliche Pflicht macht den Ehemann im Gegenzug zum Haushaltsvorstand. Aus der Position als Haushaltsvorstand ergibt sich, dass der Ehemann den Wohnsitz der Familie bestimmen kann und der Ehefrau die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder eines Berufes untersagen kann, wenn diese Arbeit den Interessen der Familie oder der gesellschaftlichen Stellung der Frau nicht entspricht. (z.B. als Verkäuferin oder Sekretärin, in dem hauptsächlich Männer arbeiten).

 

Die Rolle als Haushaltsvorstand führt insgesamt dazu, dass der Ehemann in Streitigkeit bezüglich des gemeinsamen Lebens das letzte Wort hat, vorausgesetzt seine Entscheidung ist nicht bar jeder Vernunft.

 

Die Rechte und Pflichten der Ehefrau

Sie hat ein Recht auf ihre Brautgabe. Bei der Brautgabe handelt es sich um einen Vermögenswert, der der Frau bei Eheschließung zusteht und ihr eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit während der Ehe und finanzielle Absicherung für die Zeit nach der Ehe verschaffen soll. Sie ist Eigentümerin ihres eigenen Vermögens und kann ohne Mitwirkung ihres Ehemannes frei darüber verfügen. Der gesetzliche Güterstand, ist der der Gütertrennung. Die Ehefrau ist weder ihrem Mann noch ihren Kindern zu Unterhalt verpflichtet, hat aber selbst einen Anspruch auf Unterhalt. Sie muss sich aber ihrem Ehemann, sofern dieser seinen ehelichen Pflichten nachkommt, fügen. Es ist dabei wichtig festzuhalten, dass die meisten gesetzlichen Normen, sofern sie nicht das Wesen der Ehe berühren, dispositiv und in den Eheverträge anders lautende Regelungen möglich sind. Hier herrscht weitgehend das Prinzip der Vertragsfreiheit.

 

Das Kindschaftsrecht

Auch im Bereich des Kindschaftsrechts und hier insb. im Bereich des Sorgerechts finden wir das System der Rollenverteilung. Zunächst gilt grundsätzlich, dass Vater und Mutter gemeinsam zur Sorge und Erziehung berechtigt und verpflichtet sind. Das ZGB sieht jedoch eine Prioritätsregelung vor, die von der Idee ausgeht, dass Mutter und Vater in verschiedenen Altersstufen des Kindes besser oder schlechter geeignet sind für es zu sorgen.

 

Priorität hat zunächst die Mutter: und zwar bei Mädchen bis zum vollendeten siebenten und bei Jungen bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr. Danach trägt der Vater die Sorge für die Kinder. Das iranische Parlament legte im Sommer 2002 einen Gesetzesentwurf zur Reform des Sorgerechts vor, mit der Zielsetzung das mütterliche Sorgerecht für Jungen ebenfalls bis zum 7. Lebensjahr zu erhöhen.

 

Unterschiede im Erbrecht im Hinblick auf das Geschlecht oder die Religionszugehörigkeit der Erben

Das Erbrecht bildet mit dem Familienrecht insofern eine Einheit, als das Erbrecht der unterschiedlichen Rollenverteilung der Familienangehörigen im Familienrecht Rechnung trägt. Nachdem die männlichen Verwandten die Unterhaltspflicht tragen und die Brautgabe zahlen müssen, werden sie vom Erbrecht bevorzugt behandelt. Söhne sind demnach mit dem doppelten Anteil am Nachlass beteiligt wie Töchter.

 

Außerdem herrscht der Grundsatz des Erbverbotes wegen Religionsverschiedenheit. Grundsätzlich können Nichtmuslime Muslime nicht beerben. Eine nicht-muslimische Witwe eines Moslems hat demnach kein Ehegattenerbrecht. Befindet sich unter den

Erben eines nichtmuslimischen Erblassers ein Moslem, so schließt dieser alle anderen nichtmuslimischen Erben von der Erbschaft aus.

 

Die Rechtsstellung der Witwe

Beim überlebenden Ehegatten hängt die Erbquote vom seinem Geschlecht und vom Vorhandensein von Nachkommen ab. Während der überlebende Ehemann neben Abkömmlingen 1/4 des Nachlasses erhält, beträgt die Quote der Ehefrau in der gleichen Konstellation 1/8 des Nachlasses. Außerdem ist für das gesetzliche Erbrecht der Witwe die Besonderheit festzuhalten, dass es sich nur auf das bewegliche Vermögen, nicht aber auf Grundstücke bezieht. Diese werden nur wertmäßig ausgeglichen.

 

Familiengerichtsbarkeit

Seit 1967 gibt es in Familienangelegenheiten sachlich zuständige Familiengerichte, die ausschließlich mit Angelegenheiten des Familienrechts befasst sind. Die gesamte Familiengerichtsbarkeit ist staatlich. Etwaige religiöse Sondergerichte sind im Bereich des Familienrechts nicht vorhanden. Auch alle religiösen Minoritäten müssen sich in Familienangelegenheiten an das örtlich zuständige Familiengericht wenden, das dann das Familienrecht der jeweiligen Religion anwenden muss, ähnlich dem deutschen Richter der aufgrund des internationalen Privatrechts ausländisches Recht anwenden muss. Angelegenheiten des Erbrechts unterliegen der Zuständigkeit der ordentlichen Zivilgerichte.

 

Unterschiede zwischen den geltenden Rechtsnormen und ihrer Anwendung

Das Recht in den Büchern ist nicht das Recht in der Praxis. Das gilt auch für den Iran. Der Hilfesuchende muss sich nicht nur im Dschungel des positive Rechts zu- recht finden, sondern sehr oft auch gegen verkrustete Mentalitäten einer patriarchalischen Gesellschaft ankämpfen, die das überkommene Gewohnheitsrecht mit dem islamischen Recht oftmals vermischt. Gerichtsverfahren dauern in der Regel sehr lange, die Kenntnis der Rechtslage ist unvollständig oder nicht vorhanden. Es herrscht in familienrechtlichen Angelegenheiten kein Anwaltszwang in Iran, so dass der Richter jede Verhandlung leiten und die Parteien ständig belehren muss. Er muss ihnen die Anträge erklären, die Konsequenzen erläutern, die Parteien beruhigen und sie zum Schwiegen bringen, oder sie zum Reden ermutigen, die Verwandten raus schicken, wenn sie zu viel dazwischen reden oder sie zur Aufklärung des Sachverhalts zum Reden veranlassen. Schließlich protokolliert der Richter alles selbst, alle Akten bis auf einige Formularvordrucke sind handschriftlich, er schreibt das Urteil und verkündet es.

 

Zur Ausbildung der Richter

Richter wird man im Iran auf zwei Wegen: zum einen durch ein Hochschulstudium der Rechtswissenschaften, zum anderen durch ein Studium an einer theologischen Schule, wobei die Absolventen dort im islamischen Recht ausgebildet werden. Alle Richteramtsanwärter müssen sich einer Prüfung unterziehen. Das Verhältnis zwischen weltlichen und religiösen Richter beträgt dabei 50 zu 50. In letzter Zeit beobachtet man einen Rückgang der Theologen aus dem Richteramt, was bisweilen auf die Verschärfung des prozessualen Teils der Eintrittsklausur zurück geführt wird.  

 

 

 

© Christa Tamara Kaul