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Und führe uns nicht in Versuchung ...

 

 

                    ... das Richtige ändern zu  wollen           

 

 

Christa Tamara Kaul      -     März 2018
 

 

Kann Gott, den wir als „unseren Vater“ ansprechen, uns in Versuchung führen? Die französischen Bischöfe sagten: Nein, ein guter Vater tut so etwas nicht! Und ließen die Gebetsbitte des Vaterunsers „Und führe uns nicht in Versuchung“ umformulieren in „Und lass uns nicht in Versuchung geraten“. Papst Franziskus begrüßte 2017 die Änderung. Und so stellt sich die Frage: Wurde der Originaltext falsch übersetzt? Oder hat sich gar Jesus, der uns das Vaterunser selbst gelehrt hat, im Hinblick auf „seinen“ und „unseren Vater“ geirrt?
 

Die gute Nachricht vorweg: Der Vaterunser-Text, der uns von den Evangelisten Matthäus (Mt 6,9-13) und Lukas (Lk 11,1-4) überliefert wurde, entspricht in seiner deutschen Übersetzung einwandfrei der altgriechischen Originalversion und wird nicht geändert. So der Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz vom 25. Januar 2018. Und diese Einschätzung deckt sich mit dem Urteil der allermeisten Theologen und Bibelforscher.

Warum die ganze Aufregung? Neu ist die Diskussion nicht gerade. Schon 2015 erwiderte etwa der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer anlässlich ähnlicher Änderungsbestrebungen: „Wenn wir anfangen würden zu sagen: Nein, Jesus, also so kannst du das nicht gesagt haben, … wir erlauben uns hier, dich zu korrigieren – dann bekommen wir bald eine ganz neue Bibel nach unseren menschlichen Vorstellungen. Die Bibel würde aufhören, Zeugnis von Gottes Offenbarung zu sein.“

 

Dabei geht es nur vordergründig um die richtige Übersetzung, also um eine philologische Frage. In Wahrheit ist es ein „Glaubenskrieg“ um einen exegetischen Aspekt: nämlich um die theologische Definition des Gottesbildes. Kann Gott, den wir als Inbegriff absoluter, allumfassender Liebe ansehen (möchten), uns versuchen oder gar Böses zumuten wollen? Die französischen Bischöfe verneinen dies mehrheitlich, ebenso der Papst – weil ein guter Vater so etwas nicht mache. Wirklich nicht?! Was mutete denn „Gott Vater“ seinem Sohn zu? Und was mutete er etwa seinem treuen Diener Hiob zu? Und das nur, um einem Widersacher seine Macht und Größe zu demonstrieren – heute würde man sagen: um einem Konkurrenten zu zeigen, wer im Viertel das Sagen hat. Zu Recht warnte die Erfurter Theologin Julia Knop davor, das Vaterunser weichzuspülen, „um Gott vor sich selbst zu schützen". Und der Theologe Klaus Mertes SJ. argumentiert: "Ein guter Vater hält Anklagen aus." Darüber hinaus entspreche die bekannte Übersetzung auch dem Gottesbild des Neuen Testaments. Und, so ist hinzuzufügen, erst recht dem des Alten Testaments, aus dem heraus Jesus geprägt war. Dort heißt es etwa bei dem Propheten Jesaja (Jes 45, 6 f.): "Ich, der Herr, und keiner sonst, der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe, der ich Heil wirke und das Unheil schaffe, ich bin's, der Herr, der dies alles wirkt.“

Ausgesprochen klar weist die Deutsche Bischofskonferenz denn auch darauf hin, dass der Wunsch, Gott möge die Menschen vor der Versuchung bewahren, zwar zum Sinn der Vaterunser-Bitte gehöre. Diese sei aber so gehalten, dass auch die abgründige Erfahrung, Gott prüfe einen Menschen über seine Kraft hinaus, angesprochen werde. „Das Vaterunser beantwortet nicht die Frage der Theodizee: Warum gibt es Leid, Böses und Versuchung? Warum lässt Gott all dies zu?“ Und genau damit zielen die deutschen Bischöfe auf den eigentlichen Kern des Problems.
 

 


Gott, die Versuchung und das Böse: Wie kann es sein, dass Gott, den wir sowohl als allmächtigen „Schöpfer des Himmels und der Erde“, d.h. als Urgrund allen Seins, als auch als Inbegriff der Liebe schlechthin ansehen (möchten), das Böse nicht ausmerzt, sondern zulässt? Ja schlimmer noch, zumindest billigend in Kauf nimmt, dass es uns angreift und Leid zufügt? Dieses zeitlos virulente Thema beschäftigt seit jeher namhafte Theologen, unter ihnen Karl Rahner (1904-1984) und Herbert Vorgrimler (1929-2014). In seinem1999 gehaltenen Vortrag „Erlöse uns von dem Bösen – Die Aktualität einer Vaterunser-Bitte“ ging Herbert Vorgrimler eben auf diese Problematik ein. Und er stellte klar, dass für Juden und für die aus dem Judentum stammenden frühen Christen eindeutig feststand, dass die Versuchung und das Böse mit dem Willen Gottes zusammenhängen.

Diese theologische Sicht göttlichen Wirkens, also die Annahme eines konkreten, situationsbezogenen Eingreifens Gottes in innerweltliche Angelegenheiten, gehört zwar längst der Vergangenheit an, ist damit aber nicht „aus der Welt“. „Was negatives Eingreifen angeht“, so Vorgrimler, „wird nicht mehr im Ernst damit gerechnet, dass Gott Strafen verhängt und damit Böses zufügt oder Leiden zur Prüfung und Bewährung der Menschen zuschickt“. Und er zitiert in dem Zusammenhang den französischen Theologen Jean-Pierre Jossua: "Es wird unmöglich, ein einzelnes Faktum aus dem Zusammenhang der Phänomene des Universums mit ihrer messbaren Kausalität herauszulösen und es auf eine transzendente Ursache zu beziehen. Ob es Ausdruck des 'Willens' Gottes ist, können wir nicht wissen." Das aber ist eine klare Absage an die traditionellen Auffassungen von der Allmacht Gottes und dessen Vorsehung. Doch, so Vorgrimler: „Ist Gott demnach am konkret anzutreffenden Bösen nicht beteiligt, so ist er doch dessen transzendenter Grund, nämlich insofern dieser Grund aller Wirklichkeit die Schöpfung evolutiv in Gang setzte und damit alles daraus entstehende Übel in Kauf nahm… Dieses In-Kauf-Nehmen wird von der traditionellen Theologie als ‚Zulassung’ des Bösen, der Übel und Leiden durch Gott bezeichnet.“ Und er greift Karl Rahners Frage auf: „Muss man … nicht ein 'Zulassen' von etwas, das man verhindern könnte … ehrlich ein 'Wollen' nennen?"

Warum (aber) will dieser Gott überhaupt das Leben, wenn es so ist, wie es ist?, fragt Vorgrimler folgerichtig – sicher stellvertretend für viele – und kommt zu dem Schluss: „Gott hat nach den Leidenserfahrungen gläubiger Menschen offenbar eine lichte und eine dunkle, eine erbarmende und eine erbarmungslose Seite, und es will keinem Denken gelingen, die Vereinbarkeit beider zu ergründen.“ Genau das drückt auch die erstaunliche Klage des leidenden Menschen Hiob aus, der ruft: „Zu Gott blickt tränend auf mein Auge, dass er Recht schaffe dem Mann gegen Gott. (Hi 16, 20 f)“. Ein gewaltiger Gedanke, den die Bibel da dem (ver)zweifelnden, aber zugleich glauben wollenden Menschen anbietet: „von Gott hinweg zu fliehen hin zu Gott, an den hellen Gott appellieren gegen den dunklen Gott“. Findet nicht eben das seinen Ausdruck auch in den beiden Schlussbitten des Vaterunsers?

Wenn aber, siehe oben, ein „interventionistisches“ Handeln Gottes in der Welt, also ein konkretes Eingreifen in das alltägliche Geschehen, sich nach heutigem Wissensstand theologisch weder erkennen noch begründen lässt, wozu dann beten? Vielleicht darum: Weil Gebete, wie etwa Christoph Böttigheimer meint, vor allem eines bewirken (können): eine Ausrichtung der Betenden auf Gott hin. Das heißt nicht, dass ein Gebet die Welt wie durch Zauberhand verwandeln würde. Jedoch kann es helfen, die Betenden selbst im Sinn des Gebets zu verändern, so dass diese empfänglich werden für die transzendente Kraft des Heiligen Geistes und allgemeinen Wandel anstoßen und herbeiführen können. Und das entspräche ganz dem, was Jesus gelehrt und gelebt hat. Er hat uns den Weg gezeigt. Und er hat uns die stärkende göttliche Kraft zugesichert: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28,18-20). Den Weg gehen müssen wir aber selber.
 

 


Links zum Thema

Deutsche Bischofskonferenz: Stellungnahme der Glaubenskommission
https://tinyurl.com/y9hm3s35  (PDF)

Herbert Vorgrimler: Von der Aktualität einer Vater-Unser-Bitte
https://tinyurl.com/y9xfuyp7  (HTML)

Thomas Söding: Führt Gott in Versuchung?
https://tinyurl.com/yc3ltx5h 

Was heißt "Und führe uns nicht in Versuchung?" – Bischof Rudolf Voderholzer
https://tinyurl.com/y9hk3wcq 

Dei Verbum: Vom Glück der Versuchung
https://tinyurl.com/yclmfwgy 

 

 

 

© Christa Tamara Kaul