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Bruder Esel, Schwester Kuh ...

 

Von Menschenwürde und Tierrechten

 

 

Christa Tamara Kaul   -   Oktober 2000

 

 

Das Verhältnis von Mensch und Tier ist so alt wie die Menschheit selbst: Es ist die älteste Beziehung, die der Mensch kennt. Und es ist, aus Sicht des Tieres, eine verhängnisvolle  Affäre, großenteils gar eine grauenvolle. Eine belastete Beziehung also. Kann sie guten Gewissens so wie bisher und unverändert aufrecht erhalten werden? (Siehe auch Institut für theologische Zoologie)

 

Sie hat unterschiedliche Entwicklungsphasen durchlaufen und gestaltet sich immer wieder in unterschiedlichen Varianten. Haustier, Arbeitstier, Machtsymbol, Sportskamerad, Jagdobjekt,  Fleischlieferant, Kuscheltier, Kind- und Partnerersatz,

Versuchskaninchen  -  solche Bezeichnungen zeigen einige spezifische Beziehungskonstellationen auf. Großenteils gestalten sich die Beziehungen zum Tier hochgradig zwiespältig: Hier die geliebten, gehätschelten Heimtiere, dort die weitgehend tierquälerisch ausgebeuteten und verbrauchten Nutztiere. 

 

Vor diesem weitgefächerten Hintergrundsspektrum  stellen sich viele Fragen: Was ist das Gemeinsame, wo der Unterschied? Wo liegt die Grenze zwischen Mensch und Tier? Wie viel tierisches Erbe steckt im zeitgenössischen homo sapiens? Wer hat welche Rechte? Was darf sich der Mensch gegenüber dem Tier erlauben? Inwieweit war und ist das Verhältnis von Mensch und Tier prägend für die Entwicklung unserer Kultur? Erfordert die moderne wissenschaftlich-technische Zivilisation eine neue Ethik im Umgang mit unseren tierischen Mitgeschöpfen? Gebieten zeitgemäße Erkenntnisse und Überlegungen eine Aufgabe des anthropozentrischen Standpunktes?

 

Tierschutz als Teil der Verfassung -  Der 17. Mai 2002 weist wenig Spektakuläres auf, und doch ist er ein denkwürdiges und ein des Dankes würdiges Datum: An diesem Tag hat der  Deutsche Bundestag dem Tierschutz Verfassungsrang gegeben. Am 21. Juni 2002 hat dann auch der Bundesrat dieser Verfassungsänderung zugestimmt. Der Tierschutz ist damit 2002 in das deutsche Grundgesetz aufgenommen worden, und zwar in Artikel 20a. Sicher, inhaltlich ist nur die Minimalfassung in den Gesetzestext eingeflossen, genau drei Worte, denn für die Verfassungsänderung musste ein parteiübergreifender Konsens erreicht werden. Und das heißt, der gemeinsame Nenner ist leider auch der kleinste. Aber immerhin, auch wenn der Fortschritt in Sachen Tierrechte eine Schnecke ist, ein kleines Stück des langen Weges ist wiederum zurückgelegt.

 

Die Notwendigkeit dieses längst überfälligen, aber seit Jahren durch die CDU blockierten Schrittes war endlich von allen im Bundestag vertretenen Parteien eingesehen geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht mit dem "Schächturteil" [Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.01.2001 (1 BvR 1783/99)] einer zweifelhaften Religionsfreiheit den Vorrang vor tierschützerischen Aspekten eingeräumt hatte. Nach Ansicht vieler Sachverständiger wurde vom BVG die Tatsache, dass sich ein Schächten (als ritueller oder überhaupt mittelbar religiöser Bestandteil der muslimischen bzw. jüdischen Religion) auch mit Betäubung (und damit ohne jeden Verstoß gegen §4 a TierSchG bzw. die Artikel 2 Abs 1 und Art. 4 GG) durchführen lässt, nicht berücksichtigt. Das Leid der Tiere zählte abermals wenig gegenüber weltanschaulichen Anachronismen und  teilweise auch kommerziellen Interessen. Dieses Urteil hat zusammen mit der derzeit sehr engagiert geführten Debatte zu Themen der Bioethik, Stichwort: embryonale Stammzellenforschung, auch das Verhältnis von Mensch und Tier erfreulicherweise wieder in den Bereich größerer Aufmerksamkeit gerückt. 

 

Die Verhältnismäßigkeit von MenschenWürde und TierRechten: Bei allem Gewicht und aller erfreulichen Ernsthaftigkeit, die der aktuellen Auseinandersetzung zum Thema Forschung an und mit embryonalen Stammzellen zukommt: Auch hier ist die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zu stellen. Angesichts von unzähligen grauenvollen, aber von der großen Mehrheit der Menschen bestenfalls mit einem bedauernden Achselzucken akzeptierten Tierversuchen kommen Zweifel auf. Zweifel, ob ein vier- oder zwölfteiliger "Zellhaufen" der Spezies homo sapiens ohne jegliche Empfindungsfähigkeit tatsächlich so viel mehr Schutz und Würde beanspruchen kann und darf als ein voll entwickeltes leidfähiges und schmerzempfindendes Tier? Die Fragestellung klingt für viele, geprägt durch die seit Jahrhunderten verinnerlichte Anthropozentrik, provokativ.

 

Und trotzdem: Jahr für Jahr werden Millionen von Tieren grausamst zu Tode gequält, zu medizinischen Forschungszwecken, angeblich oder tatsächlich zum Wohle von Menschen, zum bloßen Vergnügen oder zu Nahrungszwecken. Wo bleibt da ein auch nur annähernder Aufschrei all der Bedenkenträger und Ethikwächter in Staat und Kirchen, wie er anlässlich der Stammzellenforschung zu hören war und ist?  Zu Recht zu hören ist, sei hinzugefügt. Nur anlässlich der erschreckenden Stille hinsichtlich des massenhaften qualvollen Verbrauches jeder Art von Tieren  regt sich die Frage: Berechtigter Anspruch oder eben doch bloß wahnsinnige Anthropozentrik?

 

Wenn Tierschutz und ein geschwisterlicher Umgang mit allen Mitgeschöpfen gefordert wird, zunehmend auch aus und in den Kirchen, so kommt nicht selten die Erwiderung, dass man sich lieber  um Menschen kümmern solle als um Tiere. Oft folgen darauf bewusst provozierende Fragen wie: Setzen Sie sich auch für den Kinderschutz ein? Und viele sogenannte Fundraiser, also Menschen, die professionell für wohltätige Zwecke Spendensammlungen organisieren, klagen, dass diese "ganzen Tierschutzaktionen" bedürftigen Menschen "Mittel entziehen" würden.  

 

Diese Sichtweise, diese Argumentation ist schlicht zu kurz gedacht. Keine Frage: Menschen in Leid und Not muss und soll auf jede mögliche Art geholfen werden. Nur: Das eine schließt das andere nicht aus, kann und darf es gar  nicht ausschließen. Denn beides hängt ursächlich miteinander zusammen, selbst dann, wenn der Eigenwert und die Eigenwürde der Tiere gering geachtet werden. Das erkannte schon der eher an die Vernunft als an Höheres glaubende Anthropozentriker Immanuel Kant. Er forderte zu einer anständigen Behandlung von Tieren auf und erklärte Rohheit gegen Tiere für unmoralisch, da diese die Rohheit gegen Menschen nach sich ziehe. Das Verhältnis des Menschen zum Tier ist  - bis heute -  ein hochgradiger Indikator der Haltung den Mitmenschen gegenüber. 

 

 

Dr. Peter Dinzelbacher, Professor für Mentalitäts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien, hat ein ausgezeichnetes Buch herausgegeben, das umfassendes Wissen zu dieser Thematik bietet: 

 

  Mensch und Tier in der Geschichte Europas:
Hrsg. v. Peter Dinzelbacher. Kröners Taschenausgabe Bd.342. 2000. 670 S. 18 cm. Buchleinen (Gewebe)
ISBN: 3-520-34201-4

Alfred Kröner Verlag, Stuttgart

 

 

© Christa Tamara Kaul